Entscheidungsstichwort (Thema)

Indizienbeweisführung bei Wohngebäudebrand(stiftung)

 

Leitsatz (amtlich)

I. In Brandstiftungsfällen darf der Versicherer das (endgültige) Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft abwarten, ehe er den Vorwurf der "Eigenbrandstiftung" gegen den Versicherungsnehmer erhebt. Liegt das endgültige Ermittlungsergebnis nicht bis zum Urteil 1. Instanz (in dem Verfahren des VN gegen den Versicherer auf Versicherungsschutz) vor, dann ist der Versicherer im Berufungsrechtszug mit diesem Vorwurf nicht präkludiert.

II. Entscheidungserheblich und damit beweisbedürftig sind grundsätzlich nur Tatsachen, die einen unmittelbaren Bezug zum Streitgegenstand haben. Andererseits ist eine Beweisführung bei Beweisnot oder Unzumutbarkeit der Beweisführung für unmittelbare Beweistatsachen aber auch dann zulässig, wenn dem Beweisführer nur mittelbare Tatsachen - i.d.R. sind das Indizien - bekannt sind. Solche (mittelbaren) Tatsachen müssen aber geeignet sein, logische Rückschlüsse auf den unmittelbaren Beweistatbestand zu ziehen.

III. In Fällen der Eigenbrandstiftung ist der Versicherer oft auf den Indizienbeweis angewiesen. Für die Behandlung entsprechender Beweisanträge bestehen aber Besonderheiten. Der Tatrichter ist einerseits freier gestellt als bei sonstigen (unmittelbaren) Beweisanträgen. Er muss aber vor der Beweiserhebung prüfen, ob der angetretene Indizienbeweis schlüssig ist, ob also die Gesamtheit aller vor-getragenen (und unter Beweis gestellten) Tatsachen - deren Richtigkeit unterstellt - ihn von der Wahrheit der Haupttatsache (hier Eigenbrandstiftung) überzeugen würde. Andernfalls ist der Indizienbeweis nicht zu erheben. Dabei sind die wesentlichen Gesichtspunkte der Überzeugungsbildung im Urteil nachvollziehbar darzulegen.

 

Normenkette

ZPO § 286

 

Verfahrensgang

LG Erfurt (Urteil vom 31.05.2006; Aktenzeichen 8 O 1261/05)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Erfurt vom 31.5.2006 - 8 O 1261/05 - wird zurückgewiesen.

Die (gesamten) Rechtsmittelkosten (gerichtliche und außergerichtliche Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens) fallen der Beklagten zur Last.

Das Urteil ist - wegen der Kosten - vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des vollstreckbaren Kostenbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird (endgültig) auf 100.000 EUR festgesetzt. Dieser Kostenstreitwert gilt auch für das Revisionsverfahren.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagte aus einem bei ihr abgeschlossenen Wohngebäudeversicherungsvertrag auf Versicherungsschutz wegen eines Brandschadens vom 8./9.12.2004 (betr. das von ihm erworbene Gebäudegrundstück "Alte Gaststätte L. talsperre" Am St. 3 in F.) in Anspruch. Für dieses Gebäude bestand der streitgegenständliche Versicherungsvertrag seit August 1994, abgeschlossen zwischen der Beklagten und dem Veräußerer des Grundstücks (dem Vorbesitzer D.). Der Kläger hatte von D. mit notariellem Kaufvertrag vom 8.6.2004 (Anlage K 2, Anlagenband) das Gebäudegrundstück nebst allen Bestandteilen und Zubehör für 25.000 EUR erworben. Die Gefahr ist bereits am 7.6.2004 auf ihn übergegangen (vgl. das Revisionsurteil des BGH v. 17.6.2009 - IV ZR 43/07); der Antrag auf Eigentumsumschreibung ging erst (nach dem Brand) am 10.12.2004 beim zuständigen Grundbuchamt ein, auch erst an diesem Tag wurde der Kläger als neuer Grundstückseigentümer im GB eingetragen. Mit Schreiben vom 17.8.2004 (Anlage K 8, Anlagenband) hatte die Beklagte den Kläger auf die gesetzliche Reglung der §§ 69, 70 VVG (a.F.) - (dessen) Eintritt in den bestehenden Versicherungsvertrag/Sonderkündigungsrecht - hingewiesen, ferner, dass sie im Falle einer nicht rechtzeitig innerhalb Monatsfrist eingegangenen Kündigung den Vertrag formell auf ihn (den Kläger) umschreiben und ihm den Versicherungsschein zusenden werde. Am 15.12. 2004 stellte sie den Versicherungsschein mit Versicherungsbeginn zum 17.9.2004 aus.

Mit Schreiben vom 5.1.2005 (Anlage K 4, Anlagenband) lehnte die Beklagte ihre Einstandspflicht für den streitgegenständlichen Brandschaden ab. Sie berief sich erstinstanzlich auf Leistungsfreiheit aus mehreren Gründen, u.a. aus §§ 12 Abs. 3 VVG a.F. (wegen verspäteter Klagezustellung), 39 Abs. 2 VVG a.F. (wegen Nichtzahlung der Folgeprämie vor Eintritt des Versicherungsfalles) und 23, 25 VVG a.F. (Gefahrerhöhung wegen Leerstands des Gebäudes).

Der Kläger erhob daraufhin unter dem 4.7.2005 Feststellungsklage - auf Feststellung der Einstandspflicht (der Beklagten) - beim LG in Erfurt. Mit Urteil vom 31.5.2006 hat das LG dem Feststellungsantrag des Klägers entsprochen und eine Leistungspflicht der Beklagten bejaht. Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 2.6.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 3.7.2006 (einem Montag) Berufung eingelegt - Eingang beim Berufungsgericht am gleichen Tag - und diese mit weiterem Sc...

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