Rz. 47
Möglich ist es auch, dass Dienste eines Mitarbeiters in Anspruch genommen werden, der aber kein Arbeitnehmer ist. Für den Arbeitgeber kann dies günstig sein: Kündigungsschutz besteht nicht, Sozialabgaben ebenso nicht. Das Problem, den Begriff des Arbeitnehmers zu definieren, stellt sich daher nicht nur im Arbeitsrecht, sondern in ähnlicher Form auch im Sozialversicherungsrecht und Steuerrecht.
Grundnorm des Sozialversicherungsrechts ist § 7 SGB IV. In dessen Abs. 1 ist als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit insbesondere in einem Arbeitsverhältnis umschrieben. Die Formulierung der Vorschrift ("insbesondere") zeigt, dass die arbeitsrechtliche Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft nicht zwingend mit derjenigen eines sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses übereinstimmt. Dies gilt insbesondere angesichts der durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19.12.1998 (sog. "Scheinselbstständigkeitsgesetz") eingefügte Vermutungsregel in § 7 Abs. 4 SGB IV, die inzwischen durch das 1. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 wieder abgeschafft wurde. Dort war angeordnet, dass bei Vorliegen von mindestens 3 der genannten 5 Merkmale eine sozialversicherungsrechtliche Beschäftigung vermutet wird. Wie in § 7 Abs. 4 Satz 3 SGB IV klargestellt wurde, konnte die Vermutung widerlegt werden. Für die arbeitsrechtliche Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft war die Regelung jedoch argumentativ nicht heranzuziehen. Die genannten Kriterien sind nicht mit dem in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung in Jahrzehnten herausgearbeiteten Prüfprogramm, mithilfe dessen der personelle Geltungsbereich des Arbeitsrechts zu bestimmen ist, identisch. In diese Abgrenzung wollte der Gesetzgeber, wie allein der sozialversicherungsrechtliche Standort der Vorschrift zeigt, auch gar nicht eingreifen; er hat sich zur Bewältigung des Problems der sog. "Scheinselbstständigkeit" vielmehr auf eine kleine, d. h. bloß sozialversicherungsrechtliche Lösung beschränkt.
Rz. 48
Innerhalb des Arbeitsrechts geht die Rechtsprechung von einem einheitlichen Arbeitnehmerbegriff aus. Bei seiner Bestimmung im Einzelfall wird also nicht in Abhängigkeit vom jeweiligen Gesetz, dessen Anwendbarkeit infrage steht, differenziert, es sei denn, der persönliche Anwendungsbereich der jeweiligen Kodifikation ist vom Gesetzgeber durch eine gesonderte Regelung speziell zugeschnitten worden (z. B. § 5 Abs. 2 und 3 BetrVG).
Rz. 49
Wer Arbeitnehmer ist, steht damit grds. nicht zur Disposition der Arbeitsvertrags- oder Tarifvertragsparteien. Eine von den arbeitsrechtlichen Vorgaben abweichende Vereinbarung und Zuordnung des Rechtsverhältnisses ist unwirksam.
Haben die Vertragsparteien allerdings das Dienstverhältnis eines freien Mitarbeiters ausdrücklich als Arbeitsverhältnis gewollt, so ist das Rechtsverhältnis als Arbeitsvertrag zu behandeln, auch wenn es sich um einen freien Dienstvertrag handelt. Das Arbeitsrecht ist Arbeitnehmerschutzrecht und darf dem Arbeitnehmer nicht durch Vereinbarung genommen, wohl aber dem Nichtarbeitnehmer gegeben werden.
Für den umgekehrten Fall, dass die Parteien ein Arbeitsverhältnis als freies Dienstverhältnis gewollt haben, führt jedoch die Fehlanordnung dazu, dass der bisher zu Unrecht nicht als Arbeitnehmer Behandelte rückwirkend wie ein Arbeitnehmer zu behandeln ist. Dies wird nun auch durch § 611a Satz 5 klargestellt. In diesem Irrtum liegt für sich allein kein Lösungsrecht des Arbeitgebers begründet. Eine Anfechtung wegen Irrtums scheidet als bloßer Rechtsfolgenirrtum aus. Bei beidseitigem Irrtum mag im Einzelfall eine Kontrolle nach den Regeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB möglich sein.