Rz. 18
Haben Arbeitgeber und Betriebsrat einen Interessenausgleich vereinbart, so sind die Beteiligungsrechte des Betriebsrats insoweit erfüllt. Der Arbeitgeber kann die im Interessenausgleich vorgesehenen Maßnahmen nunmehr durchführen, insbesondere Kündigungen aussprechen, ohne den Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG befürchten zu müssen. Das gilt selbst dann, wenn über einen Sozialplan noch gestritten wird. Wenn nicht gleichzeitig mit dem Interessenausgleich anderweitige Mitbestimmungsrechte abgehandelt werden, hat der Arbeitgeber auch sie noch zu beachten. Dies betrifft insbesondere die Anhörung des Betriebsrats vor Kündigungen gemäß § 102 BetrVG.
Rz. 19
In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass der Betriebsrat den Abschluss eines Interessenausgleichs hinauszögert oder gar versucht, die beabsichtigte Betriebsänderung insgesamt zu verhindern. Kündigt der Arbeitgeber daraufhin die Arbeitsverhältnisse ohne vorherigen Interessenausgleich, sind die Kündigungen nicht wegen Verstoßes gegen §§ 111 ff. BetrVG unwirksam. Allerdings muss er den Betriebsrat gemäß § 102 BetrVG anhören (LAG Düsseldorf, Beschluss v. 14.11.1983, 12 TaBV 88/83; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 13.1.1992, 4 TaBV 54/91), sonst ergibt sich aus diesem Fehler die Unwirksamkeit der Kündigung. Auch eine ggf. erforderliche Massenentlassung muss vorher durchführt worden sein. Auf einen Interessenausgleich zu verzichten ist allerdings mit erheblichen Risiken verbunden. Wenn eine Betriebsänderung vorlag, können Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer auf Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG bestehen, die die üblichen Abfindungsansprüche aus einem Sozialplan deutlich übersteigen können.
Rz. 20
Ob der Betriebsrat vom Arbeitgeber verlangen kann, dass dieser Kündigungen vor Abschluss der Interessenausgleichsverhandlungen unterlässt, ist umstritten. Die Rechtsprechung variiert zwischen den verschiedenen Landesarbeitsgerichten. Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts fehlen, weil derartige Unterlassungsansprüche regelmäßig im Wege der einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden und hier die Revision zum Bundesarbeitsgericht nicht möglich ist. Gegen einen Unterlassungsanspruch: LAG Baden-Württemberg, Beschluss v. 28.8.1985, 2 TaBV 8/85; LAG Düsseldorf, Beschluss v. 14.12.2005, 12 TaBV 60/05; LAG Köln, Beschluss v. 30.3.2006, 2 Ta 145/06; LAG München, Beschluss v. 28.6.2005, 5 TaBV 46/05; LAG Nürnberg, Beschluss v. 6.6.2000, 6 Ta BV 8/00; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 26.10.2006, 11 TaBV 58/06.
Für einen Unterlassungsanspruch: LAG Berlin, Beschluss v. 7.9.1995, 10 TaBV 5 und 9/95; LAG Frankfurt, Beschluss v. 6.4.1993, 4 Ta BV Ga 45/93; LAG Hamburg, Beschluss v. 23.3.1983, 12 TaBV 15/83; LAG Hamm, Beschluss v. 30.7.2007, 13 TaBVGa 16/07; LAG Niedersachsen, Beschluss v. 4.5.2007, 17 TaBVGa 57/07; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 20.7.2007, 3 TaBVGa 1/07; LAG Thüringen, Beschluss v. 18.8.2003, 1 TaBV 104/03.
Rz. 21
Die vorstehenden Ausführungen gelten nicht nur dann, wenn der Betriebsrat versucht, den Abschluss eines Interessenausgleichs hinauszuzögern oder gänzlich zu verhindern, sondern auch dann, wenn der Unternehmer berechtigte rechtliche Zweifel daran hat, ob die von ihm geplante Maßnahme überhaupt eine Betriebsänderung i. S. d. § 111 S. 3 BetrVG darstellt und er somit überhaupt zum Abschluss eines Interessenausgleichs verpflichtet ist. Auch in diesem Fall kann der Unternehmer eine Kündigung auch vor Zustandekommen eines Interessenausgleichs aussprechen, trägt dann aber das Risiko, dass die geplante Maßnahme nachträglich doch als eine Betriebsänderung bewertet wird, die interessenausgleichspflichtig gewesen ist.