Rz. 90
Während für die Annahme der Erbschaft ein Zutun des Erben nicht erforderlich ist, muss die Ausschlagung der Erbschaft grundsätzlich deutlich und innerhalb der gesetzlichen Frist zum Ausdruck gebracht werden. Der Erbe verwirkt sonst sein Ausschlagungsrecht und erwirbt die Erbschaft vorbehaltlos (Art. 610 Abs. 1 ZGB). Die Frist zur Ausschlagung beträgt drei Monate ab Kenntnis vom Erbfall (Art. 606 ZGB). Hat das Friedensgericht wegen Nachlasssicherung eine Inventaraufnahme angeordnet, beginnt die Frist mit der Mitteilung des Gerichts, dass die Inventaraufnahme beendet ist (Art. 607 ZGB). Der Friedensrichter kann diese Frist aus wichtigen Gründen verlängern oder eine neue Frist einsetzen (Art. 615 ZGB). Ob der Auslandsaufenthalt der Erben ein wichtiger Grund ist, der die Fristverlängerung rechtfertigen kann, ist in der türkischen Literatur nicht behandelt. Jedoch macht der türkische Gesetzgeber in der amtlichen Begründung zu Art. 615 ZGB deutlich, dass nicht jeder berechtigte Grund als wichtiger Grund anerkannt werden soll. Dies spricht gegen eine extensive Auslegung des Begriffs "wichtiger Grund". Jedoch ist diesbezüglich die neue Rechtsprechung abzuwarten. Stirbt ein Erbe innerhalb der Frist, ohne eine Erklärung abgegeben zu haben, geht die Befugnis zur Ausschlagung auf seine Erben über und die Frist beginnt für diese Erben mit ihrer Kenntnis vom Erbfall. Die Frist für die Erbes-Erben beginnt dann neu zu laufen (Art. 608 Abs. 1 und 2 ZGB). Schlagen die Erben aus und gelangt die Erbschaft an andere Erben, die vorher nicht berechtigt waren, so beginnt für diese die Frist mit dem Zeitpunkt, da sie von der Ausschlagung Kenntnis erhalten haben (Art. 608 Abs. 3 ZGB).
Rz. 91
Ist diese Frist unentschuldigt verpasst worden und die Erbschaft überschuldet, bietet das türkische Recht einen Rettungsanker für die glücklosen Erben: Ist im Zeitpunkt des Todes die Zahlungsunfähigkeit des Erblassers offenkundig oder amtlich festgestellt, wird die Ausschlagung angenommen (Art. 605 Abs. 2 ZGB; vgl. auch die Art. 612 und 614 ZGB). Mit der "Offenkundigkeit" meint der Gesetzgeber den faktischen Zustand. In strittigen Fällen ist es die Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob der Nachlass zum Zeitpunkt des Todes überschuldet war. War der Nachlass zu diesem Zeitpunkt überschuldet, wird die Ausschlagung des Nachlasses angenommen. Für die "Offenkundigkeit" der Überschuldung des Erblassers genügt es, wenn dies den Erben bekannt ist. Mit jedem Beweismittel kann die Überschuldung des Erblassers zum Zeitpunkt des Todes nachgewiesen werden. Die Überschuldung des Nachlasses kann sowohl mit einer Klage aber auch gegen eine Vollstreckung als Einrede (def`i) geltend gemacht werden.
Rz. 92
Die Form der Ausschlagung wurde gem. Art. 609 Abs. 5 ZGB in Art. 40 der Erbgangsverordnung ausführlich geregelt. Die Ausschlagung ist bedingungs- und vorbehaltlos und endgültig von dem Erben oder seinem Vertreter bei dem Friedensgericht mündlich oder schriftlich zu erklären (Art. 609 Abs. 1 und 2 ZGB). Die Verwirkung der Ausschlagungsbefugnis tritt dadurch ein, dass er vor Ablauf der Frist Handlungen vornimmt oder sich in die Erbschaftsangelegenheiten einmischt, die nichts mit der gewöhnlichen Verwaltung der Erbschaft und mit der Fortsetzung der Geschäfte des Erblassers zu tun haben. Auch die Erben können die Erbschaft nicht mehr ausschlagen, wenn sie sich die Erbschaftssachen angeeignet oder verheimlicht haben (Art. 610 Abs. 2 ZGB). Die Vollstreckung eines Titels oder Klageerhebung, um die Verjährung oder Verwirkung abzuwenden, hebt die Ausschlagungsbefugnis nicht auf (Art. 610 Abs. 3 ZGB).
Rz. 93
Der Gläubigerschutz hat in diesem Bereich einen hohen Stellenwert erhalten. Die Gläubiger eines zahlungsunfähigen Erben oder die Konkursverwaltung können die Ausschlagung innerhalb von sechs Monaten anfechten und zur amtlichen Liquidation bringen, wenn der Erbe die Forderungen nicht sicherstellt und das Erbe zu dem Zwecke ausschlägt, die Erbschaft den Gläubigern zu entziehen (Art. 617 Abs. 1 und 2 ZGB). Auch die Gläubiger des zahlungsunfähigen Erblassers können von den Erben, die die Erbschaft ausschlagen, die ausgleichungspflichtigen Vermögenswerte verlangen, die ihnen in den letzten fünf Jahren vor dem Erbfall von dem Erblasser zugewendet worden sind (Art. 618 Abs. 1 ZGB). Die gutgläubigen Erben haften nur in Höhe ihrer Bereicherung (Art. 618 Abs. 3 ZGB). Die Gläubiger des Erblassers haben einen Anspruch auf amtliche Liquidation, wenn ihre Forderung nicht ausgeglichen oder keine Sicherheit für die Befriedigung der Forderung gegeben ist (Art. 633 ZGB). Die Ansprüche der Gläubiger haben gegenüber Ansprüchen der Vermächtnisnehmer Vorrang (Art. 603 ZGB). Darüber hinaus haben die Nachlassgläubiger ein Anrecht auf Erbabfindung (Art. 530 ZGB).