Sachverhalt
Bei dem belgischen Verfahren ging es um die Frage, ob der Inhaber eines anderen Lagers als eines Zolllagers selbst dann gesamtschuldnerisch für die Steuern haftet, die vom Eigentümer der Waren für eine Lieferung geschuldet werden, bei der die Waren (hier Mineralöle) aus dem Lager entnommen werden, wenn der Lagerinhaber gutgläubig ist oder ihm weder ein Fehler noch eine Nachlässigkeit vorgeworfen werden kann.
Nach Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 1 Teil B Abs. 1 Buchst. e Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 157 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL) können die Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen Lieferungen von Gegenständen, die einer anderen Lagerregelung als der Zolllagerregelung unterliegen sollen, von der Umsatzsteuer befreien. Die Umsatzsteuer entsteht erst dann, wenn die Gegenstände aus dem Zolllager entnommen werden (vgl. Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 1 der 6. EG-Richtlinie, jetzt Art. 155 MwStSystRL). In diesen Fällen ist nach Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 202 MwStSystRL) Steuerschuldner die Person, die veranlasst, dass die Gegenstände die steuerbegünstigten Regelungen oder Sachverhalte verlassen.
Nach Art. 21 Abs. 3 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 205 MwStSystRL) können die Mitgliedstaaten in den Fällen nach Art. 21 Abs. 1 und 2 der 6. EG-Richtlinie bestimmen, dass eine andere Person als der Steuerschuldner die Steuer gesamtschuldnerisch zu entrichten hat. Hierauf beruht der im Ausgangsverfahren streitige Art. 51a § 3 des belgischen MwStG (WBTW), wonach bei der Regelung für andere Lager als Zolllager der Lagerinhaber, derjenige, der sich zur Beförderung der Waren aus dem Lager verpflichtet, und auch gegebenenfalls sein Auftraggeber für die Zahlung der Steuer gesamtschuldnerisch haftbar sind.
Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist ein Lagerhalter, der für seine Kunden die Entladung und Lagerung von Erdölerzeugnissen, die per Schiff eingehen, sowie deren Umladung auf Lastwagen übernimmt. Die Kunden lagern die Erzeugnisse bis zum Verkauf an die Endabnehmer, vor allem Tankstellen, in den entsprechenden Lagern. Ein Unternehmen, das Erdölerzeugnisse eingelagert und diese anschließend (unter Beendigung des Lagerverfahrens) steuerpflichtig veräußert hatte, war zahlungsunfähig geworden und die belgische Finanzbehörde konnte die auf den Verkauf der Erzeugnisse entfallende Umsatzsteuer bei dem Unternehmen nicht mehr beitreiben und nahm daher den Kläger für die Umsatzsteuerschulden des Unternehmens in Haftung. Der Kläger wandte sich gegen diese Steuerfestsetzung und trug vor, seine Haftung verstoße gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit da sie unabhängig vom Gutglaubensschutz des Lagerhalters gelte. Der Lagerhalter verfüge über keine rechtlichen oder steuerlichen Mittel, um die tatsächliche Zahlung der MwSt durch seine Kunden nachzuprüfen oder durchzusetzen.
Entscheidung
Der EuGH hat - im wesentlichen unter Bezugnahme auf seine frühere Rechtsprechung (insbesondere Urteil v. 11.5.2006, C-384/04, Federation of Technological Industries u. a.) -entschieden, dass die belgische Haftungsregelung mit Art. 21 Abs. 3 der 6. EG-Richtlinie wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar ist, wenn eine andere Person als der Steuerschuldner gesamtschuldnerisch haften soll, ohne dass diese andere Person die Möglichkeit hat, sich der Haftung zu entziehen (z.B. wenn sie nachweisen kann, dass auf das Tun des Steuerschuldners keinen Einfluss hat). Allerdings gesteht der EuGH den Mitgliedstaaten zu, dem Haftungsschuldner (hier dem Lagerinhaber) abzuverlangen, alle Maßnahmen zu ergreifen, die zumutbar sind, um sicherzustellen, dass seine Tätigkeit nicht zur Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt.
In der Sache C-384/04 hatte der EuGH bereits entschieden, dass zur Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug auch eine gesamtschuldnerische Haftung nach Art. 21 Abs. 3 der 6. EG-Richtlinie eingeführt werden kann. Eine solche Regelung muss jedoch den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts, u.a. den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Die gesamtschuldnerische Haftung darf nicht so ausgestaltet sein, dass es für den Steuerpflichtigen praktisch unmöglich oder übermäßig schwierig wird, sie durch den Gegenbeweis zu widerlegen. Diese Rechtsprechung hat der EuGH mit dem jetzigen Urteil bestätigt.
Hinweis
Auch das deutsche Recht kennt eine Gesamtschuldnerschaft des Lagerhalters, die jedoch anders als die belgische Regelung nicht unbedingt ist. Nach § 13a Abs. 1 Nr. 6 UStG haftet der Lagerhalter neben dem Unternehmer, dem unter den Bedingungen der Steuerlagerregelung (§ 4 Nr. 4a Satz 1 Buchst. a Satz 2 UStG) die Auslagerung zuzurechnen ist, als Gesamtschuldner. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Lagerhalter entgegen § 22 Abs. 4c Satz 2 UStG die inländische USt-IDNr. des Auslagerers oder dessen Fiskalvertreters nicht oder nicht zutreffend aufzeichnet. Für einen Gutglaubensschutz im Sinne des EuGH-Urteils besteht da...