Leitsatz
Wird im Versicherungsschein auf eine im beigefügten Klauselbogen aufgeführte Erstrisikoklausel, nach deren Wortlaut die §§ 56 VVG, 7 Nr. 2 VGB 62 (Unterversicherung) nicht gelten, ohne Einschränkung oder Modifikationen mit dem Zusatz "Erstrisiko" in Bezug genommen, so muss ein durchschnittlicher VN daraus folgern, dass der Versicherer auf den Einwand der Unterversicherung für alle Fälle verzichtet, in denen dieser ohne Vereinbarung der Klausel erhoben werden könnte. Dass sich dieser Verzicht nur auf Aufräumungs-, Abbruch-, Bewegungs- und Schutzkosten sowie Feuerlöschkosten bezieht, erschließt sich dem VN nicht, wenn im Versicherungsschein eine Verknüpfung zwischen den entsprechenden Klauseln (zusätzliche Vereinbarung) nicht hergestellt wird.
Normenkette
§ 5 VVG, § 56 VVG, § 7 Nr. 2 VGB 62
Sachverhalt
Der Kl. unterhielt bei der Bekl. eine Wohngebäudeversicherung. In dem Antragsvordruck hieß es unter der Überschrift Haftungserweiterung:
1. Erhöhung des Betrags für Aufräumungs-, Abbruch-, Bewegungs- und Schutzkosten sowie Feuerlöschkosten auf Erstes Risiko - Klauseln 842, 843, 844 - (3 Prozent sind mitversichert - 4.1) - auf 5 % - 7%.
Die vor den Angaben 5 bzw. 7 Prozent eingefügten viereckigen Kästchen enthielten keine Eintragung. Aus dem Versicherungsschein ging hervor, dass Aufräumungs-, Abbruch-, Bewegungs- und Schutzkosten bis 3 Prozent mitversichert waren. Darüber hinaus wurden die Klauseln 842, 843 und 847 eingeschlossen. Ausweislich des dem Versicherungsschein beigefügten Klauselbogens hatte die Klausel 847 folgenden Wortlaut:
Erstrisikoversicherung
Soweit Versicherung auf Erstes Risiko (Erste Gefahr) vereinbart ist, gelten die §§ 56 VVG, 7 Nr. 2 VGB (Unterversicherung) nicht.
Der Kl. nahm die Bekl. wegen eines Brandschadens in dem versicherten Gebäude in Anspruch. Die Bekl. wollte eine Entschädigungskürzung wegen Unterversicherung vornehmen.
Das Landgericht hat der Klage des Kl. auf Feststellung, dass sich die Bekl. ihm gegenüber bezüglich der zwischen den Parteien bestehenden Wohngebäudeversicherung nicht auf Unterversicherung berufen könne, stattgegeben. Die Berufung der Bekl. hatte keinen Erfolg.
Entscheidung
Da - wie der Senat nicht zuletzt dem Abrechnungsschreiben der Bekl. entnehme - die Eintrittspflicht der Bekl. für das Brandschadenereignis außer Streit stehe, komme es im Ergebnis darauf an, ob die Bekl. den Neuwertschaden einschließlich Mietausfall, den sie mit 7.445,94 DM beziffere, voll oder nur entsprechend dem Verhältnis der Versicherungssumme zum Versicherungswert zu entschädigen habe. Die Vornahme eines Unterversicherungsabschlags sei der Bekl. im Streitfall aber verwehrt. Denn schon der Einzelrichter des LG habe mit Recht angenommen, dass sich der mit der Vereinbarung der Klausel 847 verbundene Verzicht auf die Einrede der Unterversicherung (auch) auf den eigentlichen Gebäude- und Mietausfallschaden beziehe.
AVB und damit auch die Klausel 847 seien nach ständiger Rechtsprechung des BGH, der der Senat folge, so auszulegen, wie ein durchschnittlicher VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen müsse. Soweit einem solchen VN die Begriffe Erstes Risiko und Unterversicherung überhaupt etwas sagten, werde er aufgrund des Wortlauts der im Klauselbogen wiedergegebenen Klausel davon ausgehen, dass der Versicherer bei Abschluss einer Erstrisikoversicherung den Einwand einer Unterversicherung nicht erheben könne. Werde diese Klausel - wie hier - ohne Einschränkung oder Modifikationen im Versicherungsschein mit dem Zusatz "Erstrisikoversicherung" in Bezug genommen, so müsse ein durchschnittlicher VN daraus folgern, dass der Versicherer auf den Einwand der Unterversicherung für Fälle verzichte, in denen dieser ohne die Vereinbarung der Klausel erhoben werden könnte. Dass sich dieser Verzicht nur auf Aufräumungs-, Abbruch-, Bewegungs- und Schutzkosten sowie Feuerlöschkosten beziehe, erschließe sich ihm nicht, wenn im Versicherungsschein eine Verknüpfung zwischen den entsprechenden Klauseln 842, 843, 844 (zusätzliche Vereinbarung) nicht hergestellt werde. Eine solche Verknüpfung folge aber nicht daraus, dass diese Klauseln im Verein mit anderen, z. B. Klauseln 845 (verlängerte Mietverlustversicherung) und 854 (Sturmschäden an außen angebrachten Sachen), im Versicherungsschein gleichrangig neben der Klausel 847 aufgeführt werden. …
Ein abweichendes Verständnis des Versicherungsumfangs sei weiterhin auch nicht mit Rücksicht darauf geboten, dass - soweit erkennbar - eine umfassende Erstrisikoversicherung mit dem Verzicht auf die Unterversicherungseinrede im Versicherungsantrag noch nicht vorgesehen war. Denn bei einer dem VN günstigen Abweichung vom Antrag greife die Genehmigungsfiktion des § 5 VVG selbst dann, wenn der Versicherer auf diese Abweichung weder hingewiesen noch über ihre Rechtsfolgen belehrt habe.
Schließlich sei auch nicht zugunsten der Bekl. von einer unbeabsichtigten und schädlichen Falschbezeichnung auszugehen...