Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsetzung eines Obdachlosen

 

Tenor

1. … wird gemäß § 65 Abs. 2 VwGO beigeladen.

2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

3. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

I.

Der im Jahre 1919 geborene Antragsteller, dessen Vermögen sich – soweit ersichtlich – auf mindestens 50.000,– DM beläuft, ist ein alleinstehender, äußerst sparsamer Rentner. Von seinem Bruder und seiner Schwägerin, die im Ortsteil … der Gemeinde Lahstedt (Antragsgegnerin) wohnen, wird er häufig mit einer warmen Mahlzeit und frischer Wäsche versorgt. Diese Hilfsbereitschaft konnte der Antragsteller viele Jahre lang problemlos in Anspruch nehmen, weil er in demselben Ortsteil wohnte. Er hatte von der Antragsgegnerin zwei äußerst schlicht gestaltete Räume (Miete: 18,– DM monatlich) in dem Behelfsbau … im Ortsteil … – angemietet. Am 7. September 1983 erwirkte die Antragsgegnerin ein Räumungsurteil (Amtsgericht Peine, 5 C 270/83). Das Vollstreckungsverfahren zog sich bis zum Juli 1985 hin.

Seit dem 23. Juli 1985 ist der Antragsteller als Obdachloser in den eigens dafür angemieteten Räumen des Hauses … im Ortsteil … der Gemeinde Lahstedt untergebracht. Mit dieser Unterbringung ist der Antragsteller im Prinzip nicht zufrieden, weil er sich von der Hilfe seines Bruders und seiner Schwägerin örtlich abgeschnitten fühlt. Das Grundstück … wurde am 1. September 1987 zwangsversteigert. Den Zuschlag erhielt Herr … aus Braunschweig, der die Antragsgegnerin wissen ließ, daß er an einer Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht interessiert sei.

Mit der angefochtenen und für sofort vollziehbar erklärten Verfügung der Antragsgegnerin vom 4. September 1987 wurde der Antragsteller mit Wirkung vom 15. September 1987 in die Obdachlosenunterkunft … im Ortstei… … der … eingewiesen. Für den Fall, daß er dieser Anordnung nicht freiwillig nachkomme, wurde ihm die Anwendung unmittelbaren Zwanges angedroht. Gleichzeitig wurde die Einweisungsverfügung vom 30. Dezember 1985 auf den 15. September 1987 befristet.

Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller Widerspruch ein.

Am 11. September 1987 hat er bei dem Verwaltungsgericht Braunschweig um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung macht er geltend, daß sich die ihm angebotene Obdachlosenunterkunft … in einem baufälligen, menschenunwürdigen Zustand befinde. Im übrigen sei zu beanstanden, daß die Antragsgegnerin ihr ordnungsbehördliches Ermessen an den Interessen des Erstehers eines Grundstücks im Zwangsversteigerungsverfahren orientiere.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. September 1987 anzuordnen bzw. wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt fernmündlich,

den Antrag abzulehnen.

Sie entgegnet: Bei den angemieteten Räumlichkeiten im Hause … handele es sich um Schlichtwohnungen. Eine dieser Schlichtwohnungen werde seit langer Zeit von einer älteren Frau bewohnt. Die Wohnungen seien weder verwahrlost noch baufällig. Von menschenunwürdig könne keine Rede sein. Richtig sei lediglich, daß elektrisch geheizt werden müsse, weil der Schornstein stillgelegt und abgedichtet worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verfahrensakten 6 VG A 9/86 und 6 VG D 428/87 bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der Beratung.

 

Entscheidungsgründe

II.

1. Der Eigentümer des Grundstücks … im Ortsteil … der …, Herr … aus Braunschweig, war gemäß § 65 Abs. 2 VwGO beizuladen, weil durch diese Entscheidung seine rechtlichen Interesse berührt werden, so daß die Entscheidung nur einheitlich getroffen werden, kann.

2. Der vorläufige Rechtsschutzantrag ist zulässig, aber unbegründet.

Die Verwaltungsgerichtsordnung trägt dem Verfassungsgebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten (Art. 19 Abs. 4 GG), im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes in der Weise Rechnung, daß sie bei belastenden Verwaltungsakten die Möglichkeit der Aussetzung der Vollziehung eröffnet (§ 80 Abs. 5 VwGO) und in den übrigen Fällen in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes für zulässig erklärt (§ 123 Abs. 1 VwGO). Zwischen beiden Rechtsinstituten bestehen wesentlich prozessuale Unterschiede. Im einstweiligen Anordnungsverfahren ist die Rechtsposition eines Antragstellers tendenziell ungünstiger, weil seinem Anliegen das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegensteht und er einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft machen muß. Ob sich ein Antragsteller auf den prozessualen Weg einer einstweiligen Anordnung wird verweisen lassen müssen, hängt vom jeweiligen Rechtsschutzziel ab. Wird die erstmalige Beseitigung einer unfreiwilligen Obdachlosigkeit, die Verlängerung einer befristeten Einweisungsverfügung oder die Verbesserung des Unterbringungsstandards erstrebt, so ist die einstweilige Anordnung der zulässige Rechtsbehelf (VG Hann...

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