Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz des Nachbarn gegen eine von der Gemeinde erteilte Abweichung von Festsetzungen des Bebauungsplanes (vordere Baulinie)
Leitsatz (amtlich)
1. Die Erteilung einer Abweichung von Festsetzungen des Bebauungsplanes ist eine bauaufsichtliche Zulassung des Vorhabens im Sinne von § 212 a Abs. 1 BauGB.
2. Bauaufsichtliche Maßnahmen zur Einstellung von Bauarbeiten können gleichwohl nur von der Bauaufsichtsbehörde verlangt werden.
Normenkette
BauGB § 212a Abs. 1, § 31 Abs. 2; LBO 2004 § 68 Abs. 3, 2, § 47 Abs. 5 S. 1
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen trägt der Antragsteller.
Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
Bei dem bei der Rechtsantragsstelle des Verwaltungsgerichts am 21.09.2006 gestellten Antrag auf einstweilige Aufhebung des Befreiungsbescheids vom 20.07. 2006 bis zur Entscheidung des Kreisrechtsausschusses über seinen Widerspruch verbunden mit der Feststellung, dass ein Weiterbau der Carportanlage bis zur Entscheidung des Rechtsausschusses nicht stattfinden darf, handelt es sich der Sache nach zu Einen um einen gegen die Antragsgegnerin zu 1. gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen de Bescheid vom 20.07.2006 und zum Anderen um einen gegen den Antragsgegner zu 2. gestellten Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten.
Denn mit dem Bescheid vom 20.07.2006 hat die Antragsgegnerin zu 1. dem Beigeladenen Befreiung erteilt wegen des Abweichens der Carportanlage von der festgesetzten vorderen Baulinie”. Nach § 212 a Abs. 1 BauGB haben Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Dazu gehört auch die von der Gemeinde zu erteilende Abweichung von Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 68 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 LBO 2004 i.V.m. § 31 Abs. 2 BauGB. Dementsprechend ist § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO einschlägig, demzufolge die aufschiebende Wirkung in den durch Gesetz bestimmten Fällen entfällt.
Die im Rahmen dieses Verfahrens vorzunehmende summarische Überprüfung nach Maßgabe der §§ 80 Abs. 3, 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO setzt für die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs eine Verletzung der dem Schutz des Antragstellers dienenden Rechte mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit” voraus, die bereits mit den Erkenntnismöglichkeiten des Eilrechtschutzverfahrens festgestellt werden kann. Dieser Maßstab ergibt sich aus der in § 212 a BauGB enthaltenen Entscheidung des Gesetzgebers, die aufschiebende Wirkung des Nachbarwiderspruches gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens auszuschließen. Damit ist der Prüfungsrahmen des Gerichts eng abgesteckt.
Im Falle der Nachbaranfechtung einer Abweichung von Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 68 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 LBO 2004 i.V.m. § 31 Abs. 2 BauGB ist diese allein daraufhin zu untersuchen, ob sie mit wehrfähigen Rechten gerade des Antragstellers dieses Verfahrens zu vereinbaren ist. Hierbei sind allein diejenigen Vorschriften des öffentlichen Rechts in den Blick zu nehmen, die durch die angefochtene Baugenehmigung umgesetzt und gerade den Schutz des konkret um Rechtsschutz nachsuchenden Nachbarn bezwecken sollen.
Welchen Vorschriften des Baurechts nachbarschützende Funktion zukommt, ist jeweils nach Inhalt, Zweck und Wirkung der einzelnen Vorschrift darauf zu untersuchen, ob die spezielle Norm zumindest auch den Schutz des Nachbarn bezweckt. Dabei ist Zurückhaltung geboten und grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen, um einer Ausuferung in Richtung auf eine verdeckte Popularklage zu begegnen sowie den verständlichen Bedürfnissen des Bauherrn nach Rechtssicherheit gerecht zu werden. Eine besondere subjektive Rechtsstellung des Nachbarn kann nur dann anerkannt werden, wenn der Kreis der geschützten Personen durch die Norm hinreichend klar gestellt wurde, wobei zu fragen ist, ob die Vorschrift gerade darauf abzielt, Baumaßnahmen oder Nutzungen zu verhindern, welche typischerweise das Nachbargrundstück schädigen oder gefährden. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang das streitige Vorhaben mit den sonstigen Rechtsvorschriften in Einklang steht, ist für das Verfahren ohne Bedeutung. Zum anderen ergibt die Vorläufigkeit des Eilrechtsschutzverfahrens, dass das Gericht auf eine summarische Überprüfung beschränkt ist.
Auf dieser Grundlage ist eine Verletzung öffentlich-rechtlich geschützter Nachbarrechte des Antragstellers durch die erteilte Befreiung von der im Bebauungsplan festgesetzten vorderen Baulinie nicht nur nicht mit der erforderlichen „überwiegenden Wahrscheinlichkeit” zu erkennen, sondern als ausgesprochen fern liegend anzusehen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 19.09.1986 entschieden, dass § 31 Abs. 2 BauGB mit dem Gebot der Würdigung nachbarlicher Interessen drittschützende Funktion hat. Dieses Urteil geht davon aus, dass bei einer fehlerhaften Befreiung von ei...