Entscheidungsstichwort (Thema)
Bundesdisziplinarrecht. Verstoß gegen postrechtliche Dienstvorschriften
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Disziplinierung eines Postzustellers, der über Jahre hinweg – teilweise fahrlässig, überwiegend aber vorsätzlich – im Rahmen seiner Arbeit gegen postrechtliche Dienstvorschriften verstoßen hat, wobei der Schwerpunkt seines Dienstvergehens darin lag, dass er in einer Vielzahl von Fällen Brief- und Paketsendungen wieder in den allgemeinen Postlauf zurückführte, um sich der taggleichen Zustellung zu entledigen (hier: Zurückstufung um zwei Stufen in das Eingangsamt).
2. Eine sich allmählich steigernde psychische Ausnahmesituation, die mit einem fortschreitenden Zerrüttungsprozess der Ehe des Beamten einhergeht und im Tatzeitraum andauert, ist hinsichtlich eines Dienstvergehens der unter 1 bezeichneten Art als gewichtiger Milderungsgrund anzuerkennen.
3. Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens sind durch eine gerichtliche Beweisaufnahme selbst dann heilbar, wenn entgegen §§ 21, 24 BDG keinerlei behördliche Ermittlungen und Beweisaufnahmen stattgefunden haben, sondern das behördliche Disziplinarverfahren ausschließlich aus einer Auswertung von Erkenntnissen bestand, die im Rahmen von dem behördlichen Verfahren vor- oder ausgelagerten formlosen Verwaltungsermittlungen gewonnen worden waren.
4. Haben die gerichtlicherseits vernommenen Zeugen (hier überwiegend Qualitätsmanager und “Security-Spezialisten” der Deutschen Post) in einem solchen Fall keine konkrete Erinnerung mehr an das dem Beamten vorgeworfene Verhalten, so kann ein Nachweis nicht auf Grundlage von seitens dieser Zeugen im Rahmen der Verwaltungsermittlungen gefertigten Berichten und Vermerken geführt werden.
5. Dem behördlichen Disziplinarverfahren vor- oder ausgelagerte Verwaltungsermittlungen sind kein gesetzlich geordnetes Verfahren, insbesondere sind die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes diesbezüglich nicht anwendbar; die insoweit gewonnenen Erkenntnisse sind weder im behördlichen noch im gerichtlichen Disziplinarverfahren verwertbar.
6. Es ist nicht nachvollziehbar, wie ein Postzusteller, der zwar ein schweres Dienstvergehen dadurch begangen hat, dass er wiederholt insbesondere durch Verstöße gegen postrechtliche Vorschriften vorsätzlich im Kernbereich seiner dienstlichen Tätigkeit versagt hat, das Vertrauen eines Dienstherrn verloren haben soll, der seinerseits im Rahmen des behördlichen Disziplinarverfahrens wesentliche Vorschriften des Bundesdisziplinargesetzes nicht eingehalten hat.
Normenkette
BBG § 54 Sätze 1, 3, § 55 S. 2, § 77 Abs. 1 S. 1; StPO § 168a; BDG § 13 Abs. 2 S. 1, §§ 20-21, 23-24, 28 S. 2, §§ 30, 56 S. 1, § 58 Abs. 1
Tenor
I. Der Beklagte wird vom Amt des Postbetriebsassistenten in das Amt eines Postoberschaffners versetzt.
II. Die Kosten des gerichtsgebührenfreien Verfahrens tragen der Beklagte zu zwei Dritteln und die Klägerin zu einem Drittel.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem jeweiligen Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht jeweils die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
A.
Der Beklagte wurde am …1963 geboren.
Nach Erwerb des Hauptschulabschlusses – Hauptschulentlassungszeugnis der Hauptschule … wurde er am …1978 als Postjungbote bei der damaligen Deutschen Bundespost, der Rechtsvorgängerin der Klägerin, eingestellt.
Nach bestandener Prüfung für den einfachen Postdienst wurde er mit Wirkung vom …1981 unter Verleihung der Eigenschaft eines Beamten auf Probe zum Postschaffner zur Anstellung ernannt.
Mit Wirkung vom …1981 wurde er zum Postoberschaffner, am …1983 zum Posthauptschaffner und am …2000 zum Postbetriebsassistenten befördert.
Die Eigenschaft eines Beamten auf Lebenszeit wurde ihm mit Wirkung vom …1990 verliehen.
Der Beklagte ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von 11 und 6 Jahren. Er lebt seit über einem Jahr von seiner Ehefrau getrennt und hat die eheliche Wohnung verlassen. Seine Kinder leben bei ihrer Mutter.
Der Beklagte ist gesundheitlich angeschlagen. Am …2004 wurde er wegen psychischer Probleme durch die arbeitsmedizinisch untersucht. In ihrer Stellungnahme kam diese zu dem Ergebnis, dass gegen die Tätigkeit des Beklagten in der Brief- und Verbundzustellung “keine gesundheitlichen Bedenken unter bestimmten Voraussetzungen” bestünden, dass ihm allerdings “dringend ein stationäres Heilverfahren in einer psychosomatischen Klinik angeraten” werde.
Der Beklagte hat ein Attest von Dr. med. …, Arzt für Neurologie und Psychiatrie, vom …2004 vorgelegt, in welchem eine “mäßige depressive Episode” und eine “akzentuierte Persönlichkeit mit dependenten und narzisstischen Zügen” diagnostiziert und zusammengefasst wird, dass sich bei “dem Patienten eine verminderte Belastbarkeit auf dem Boden einer akzentuierten Persönlichkeitsstruktur” finde;...