Entscheidungsstichwort (Thema)
Jugendhilferecht. Kostenbeitrag. Übergangszeitraum. individueller Abzug. Eigenheim. Schuldverpflichtungen. Einkommensbegriff. Pauschalabzug. angemessener Wohnwert. Versicherungsaufwendungen. Fahrtkosten. Kindergeld. besondere Härte
Leitsatz (amtlich)
1. Für eine im Übergangszeitraum nach § 97 b SGB VIII erfolgende hälftige Erhöhung des Kostenbeitrags ist Voraussetzung, dass zuvor eine förmliche Festsetzung des bisherigen Unterhaltsbeitrags erfolgt war.
2. Nach der Reform des Jugendhilferechts gilt insoweit ein im Verhältnis zum Sozialhilferecht eigenständiger Einkommensbegriff.
3. Der Abzug der Belastungen vom (bereinigten) Einkommen erfolgt grundsätzlich durch dessen pauschale Kürzung um 25 % (§ 93 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII).
4. Zu den nach ihrer konkreten Höhe abzugsfähigen Belastungen zählen insbesondere auch Schuldverpflichtungen (§ 93 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII).
5. Zum Erwerb eines Eigenheims eingegangene Schulden können nur insoweit als (konkret) abzugsfähige Belastungen angesehen werden, als der Wohnvorteil beim Wohnen in einem Eigenheim berücksichtigt wird; vor der Anrechnung einer entsprechenden Belastung ist demzufolge ein angemessener Wohnwert abzuziehen.
6. Zu den Aufwendungen für verschiedene Versicherungen.
7. Fahrtkosten sind für die Ermittlung des Kostenbeitrags nicht nach Unterhaltsrecht zu berechnen.
8. Eine Auszahlung des Kindergelds unmittelbar an den Jugendhilfeträger ändert nichts daran, dass dieses dem Einkommen hinzuzurechnen ist.
9. Für die Annahme einer besonderen Härte bedarf es entsprechender Anhaltspunkte (§ 92 Abs. 5 SGB VIII).
Normenkette
SGB VIII §§ 35a, 41, 91 Abs. 1 Nrn. 6, 8, § 92 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2, 5, § 93 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 94 Abs. 3 S. 1, § 97b; EStG § 9; KostenbeitragsV §§ 7-8
Tenor
1. Der Kostenbeitragsbescheid der Beklagten vom 26.05.2006 und der aufgrund mündlicher Verhandlung vom 08.12.2006 ergangene Widerspruchsbescheid werden insoweit aufgehoben, als darin gegenüber dem Kläger für die Monate April bis September 2006 ein Kostenbeitrag von mehr als 213,00 EUR festgesetzt worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 9/10 und die Beklagte zu 1/10.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostengläubiger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht der jeweilige Kostenschuldner vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Berufung gegen den die Klage abweisenden Teil des Urteils wird zugelassen.
Tatbestand
Die am … 1986 geborene Tochter des Klägers erhielt von der Beklagten vom 25.11.2004 bis 30.04.2005 Eingliederungshilfe/Hilfe für junge Volljährige in Form von Heimerziehung in einer Jugendgruppe. Auf ihren Antrag erhielt sie von der Beklagten sodann vom 01.05.2005 bis 30.04.2007 Eingliederungshilfe/Hilfe für junge Volljährige in Form des Betreuten Wohnens. Der geschiedene Kläger ist Eigentümer eines selbst genutzten Wohnhauses. Der einfache Weg zu seiner Arbeitsstätte beträgt ca. 55 km.
Die Beklagte unterrichtete den Kläger mit Schreiben vom 20.05.2005, ihm zugestellt am 31.05.2005, über die von ihr geleisteten Hilfen für … und deren Kosten; zugleich wies sie darauf hin, dass er zu den Kosten ggf. einen zumutbaren Beitrag leisten müsse; eine Rechtsbehelfsbelehrung war dem Schreiben nicht beigefügt. Mit Schreiben vom 07.06.2005 beantragte die Beklagte bei der Familienkasse die Auszahlung des anteiligen Kindergelds für … ab Mai 2005; daran schloss sich ein Schriftwechsel an.
Mit an den Kläger gerichtetem Schreiben “Festsetzung Unterhaltsbeitrag” vom 14.10.2005 errechnete die Beklagte einen rückständigen Unterhaltsbeitrag des Klägers bis 31.10.2005 in Höhe von insgesamt 3.769.- EUR (01.12.2004 bis 30.04.2005 monatlich 379.- EUR, 01.05.2005 bis 30.06.2005 monatlich 379.- EUR und 01.07.2005 bis 31.10.2005 monatlich 279.- EUR) und bat um dessen Überweisung sowie ab November 2005 um laufende Zahlungen in Höhe von monatlich 279.- EUR; eine Rechtsbehelfsbelehrung war dem Schreiben nicht beigefügt. Der Kläger entgegnete hierauf mit Anwaltsschreiben vom 18.11.2005, da er erst per 31.05. eine Rechtswahrungsanzeige erhalten habe, befinde er sich frühestens ab 01.05.2005 in Verzug und sei für die rückständige Zeit nicht zur Unterhaltszahlung verpflichtet. Außerdem machte er ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 1.795.- EUR sowie (jeweils monatliche) berufsbedingte Aufwendungen (Fahrtkosten) von 504.- EUR, Hausfinanzierungs- und -nebenkosten von 550,39 EUR sowie Riesterrentenbeiträge von 120,30 EUR geltend. Er gab an, er bewohne ein älteres Anwesen mit ca. 150 m(2) Wohnfläche und einem geschätzten Vermietwert von “max.” 600.- EUR. Außerdem erhob er grundsätzliche Einwände gegen seine zivilrechtliche Unterhaltspflicht. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben v...