Entscheidungsstichwort (Thema)
Allgemeines Polizeirecht. Weide. Kuhglocke. Lärm. Lärmbelästigung. Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
Leitsatz (amtlich)
Eine ortspolizeiliche Verfügung einer Gemeinde im ländlichen Raum des Schwäbischen Waldes, mit der einem Landwirt generell ohne zeitliche Beschränkung aufgegeben wird, die Glocken an seinen weidenden Kühen zu entfernen, kann rechtswidrig sein.
Normenkette
PolG §§ 1, 3; OWiG § 117
Verfahrensgang
VG Stuttgart (Beschluss vom 19.09.1995; Aktenzeichen 18 K 3459/95) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 19. September 1995 – 18 K 3459/95 – geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 10.7.1995 wird wiederhergestellt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000,– DM festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Anders als das Verwaltungsgericht sieht sich der Senat veranlaßt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 10.7.1995 wiederherzustellen. Mit dieser Verfügung wurde dem Antragsteller, einem Landwirt, unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgegeben, die Lärmbelästigung durch umgehängte Kuhglocken unverzüglich, spätestens bis 14.7.1995 zu unterbinden, wobei nur noch ein Leittier mit einer Glocke versehen werden darf, während alle andern Glocken zu entfernen sind. Das private Interesse des Antragstellers, vom Sofortvollzug dieser Verfügung verschont zu bleiben, überwiegt das von der Antragsgegnerin reklamierte öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Maßnahme. Dies folgt bereits daraus, daß die Polizeiverfügung der Antragsgegnerin nach derzeitigem Erkenntnisstand im Widerspruchs-, bzw. Klageverfahren keinen Bestand haben wird.
Die Polizei hat die Aufgabe, von dem einzelnen und dem Gemeinwesen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird und Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu beseitigen, soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist (§ 1 Abs. 1 Satz 1 PolG). Dabei hat die Polizei zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ihr nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich erscheinen (§ 3 PolG). Das polizeiliche Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfaßt grundsätzlich auch die Gesundheit der Bürger (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.11.1995 – 1 S 3201/94 –). Bloße Belästigungen überschreiten jedoch in der Regel nicht die polizeiliche Gefahrenschwelle; sie rechtfertigen daher ein polizeiliches Einschreiten nur ausnahmsweise. Dies gilt auch für Lärmbelästigungen, die nicht den Grad erreichen, daß eine Gesundheitsgefährdung zu befürchten steht.
Die angegriffene Verfügung läßt nicht erkennen, daß mit ihr einer Gesundheitsgefährdung begegnet werden soll. Im verfügenden Teil ist von einer Lärmbelästigung durch das Kuhglockengeläut die Rede; auch in der Begründung wird lediglich von einer erheblichen Lärmbelästigung gesprochen. Auch dem sonstigen Akteninhalt ist nicht zu entnehmen, welchen Grad diese „(erhebliche) Lärmbelästigung” erreicht. Es fehlen jegliche konkrete Angaben, die eine Feststellung ermöglichen, welcher Art und Intensität von Lärm etwaige Anwohner durch das Glockengeläut ausgesetzt sind. Schließlich ist nicht erkennbar, inwieweit das Glockengeläut tagsüber zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung der Bevölkerung führen könnte.
Selbst wenn – was im Widerspruchsverfahren im einzelnen aufzuklären und darzulegen sein wird – ein etwaiges nächtliches Kuhglockengeläut zu Gesundheitsbeeinträchtigungen führen würde, wäre die angegriffene Verfügung deshalb rechtswidrig, weil sie unverhältnismäßig wäre, da sie das Verbot des Tragens von Kuhglocken nicht auf die Nachtzeit beschränkt.
Die angegriffene Verfügung ist auch nicht sonst zur Abwehr der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit erforderlich. Aufgrund der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung läßt sich nicht feststellen, daß, wie das Verwaltungsgericht annimmt, ein Verstoß gegen § 1 Abs. 1 PolG i.V.m. § 117 OWiG vorliegt. Danach handelt ordnungswidrig, wer ohne berechtigten Anlaß oder in einem unzulässigen oder nach den Umständen vermeidbaren Ausmaß Lärm erregt, der geeignet ist, die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft erheblich zu belästigen oder die Gesundheit eines anderen zu schädigen. Der objektive Tatbestand setzt die Erregung von Lärm voraus, der eine bestimmte Qualität besitzt und ohne berechtigten Anlaß oder in einem bestimmten Ausmaß verursacht wird. Die Vorschrift verlangt eine erhebliche, d.h. deutlich über das normale Maß hinausgehende Belästigung. Damit scheidet eine nach Dauer und Stärke nur geringfügige Beeinträchtigung des Wohlbefindens der Betroffenen durch Lärm aus dem Geltungsbereich der Ordnungswidrigkeitsvorschrift aus (vgl. Rebmann/Roth/Herrmann, Gesetz über...