Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehinderte. Zustimmung zur außerordentlichen. Kündigung psychisch Behinderter. Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung
Leitsatz (amtlich)
Die Sollvorschrift des § 21 Abs. 4 SchwbG ist schon dann nicht anwendbar, wenn sich ein Zusammenhang zwischen dem Kündigungsgrund und der Behinderung nicht völlig ausschließen läßt. Das Bestehen eines solchen Zusammenhangs ist nicht streng nach Kausalitätsgrundsätzen zu prüfen; es kann vielmehr auch nach allgemeiner Lebensanschauung aufgrund einer weiten Auslegung dieses Begriffs vermutet werden. Dies gilt insbesondere für eine verhaltensbedingte Kündigung bei festgestellter psychischer Behinderung.
Ist die Frage, ob der geltend gemachte Kündigungsgrund einen „wichtigen Grund” i.S.d. § 626 BGB darstellt, schon nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen nicht einfach zu beantworten, reicht es für eine pflichtgemäße Ermessensausübung der Hauptfürsorgestelle aus, wenn sie den Umstand, daß es sich um einen „wichtigen Grund” i.S.d. § 626 BGB handeln kann, nach entsprechender Sachaufklärung in ihre Ermessenserwägungen einbezieht.
Zu den Rechtsfolgen fehlerhafter Sachverhaltsbeurteilung der Hauptfürsorgestelle.
Normenkette
SchwbG n.F. § 21 Abs. 4
Verfahrensgang
VG Stuttgart (Urteil vom 19.03.1987; Aktenzeichen 9 K 2786/86) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 19. März 1987 – 9 K 2786/86 – geändert. Der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 15. August 1986 wird aufgehoben.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen der Beklagte und die Beigeladene je zur Hälfte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine Widerspruchsentscheidung des Beklagten, mit welcher der Beklagte die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der schwerbehinderten Beigeladenen verweigert hat.
Die am 13.01.1940 geborene Beigeladene war seit 01.09.1973 bei der Klägerin beschäftigt. Dort arbeitete sie zunächst in der Buch/Schreibwaren/Verkaufsabteilung als teilzeitbeschäftigte, ab 01.04.1977 Vollzeitbeschäftigte Verkäuferin, zum 01.06.1978 wechselte sie zur Hauptkasse über. Die Beigeladene ist auf ihren Antrag vom 18.10.1983 durch Bescheid des Versorgungsamts Stuttgart vom 18.06.1984 wegen Nierensteinleiden mit Bluthochdruck, psychischer Behinderung, WPW-Syndrom und Gelbsucht mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. seit 01.07.1983 als Schwerbehinderte anerkannt worden.
Mit Schreiben vom 13.10.1983 kündigte die Klägerin fristgemäß zum 31.03.1984 „wegen organisatorischer Umstellungen in der Hauptkasse” das Arbeitsverhältnis mit der Beigeladenen und bot dieser einen neuen Arbeitsplatz in der Bücher/Schreibwaren/Verkaufsabteilung ab 01.11.1983 in Vollzeitbeschäftigung zu i.ü. gleichen Gehaltsbedingungen an (Änderungskündigung). Der Grund der Kündigung lag in der Einführung eines elektronischen Geldbearbeitungssystems in der Hauptkasse und der damit beabsichtigten Personaleinsparung. Am 28.10.1983 klagte die Beigeladene beim Arbeitsgericht Stuttgart auf Feststellung der Unwirksamkeit dieser Kündigung (Az. 2 Ca 570/83). Mit Urteil vom 21.03.1984 wies das Arbeitsgericht die Klage ab. Es hielt die Kündigung für sozial gerechtfertigt, weil die Beigeladene im Unterschied zu der sonst in Betracht gekommenen Kollegin bereits fünf Jahre in der angebotenen neuen Stelle tätig gewesen und dort bereits eingelernt gewesen sei. Das Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht endete am 21.08.1984 mit einem Prozeßvergleich, wonach die Parteien außer Streit stellten, daß die Beigeladene entsprechend der Änderungskündigung in der Bücher/Schreibwarenabteilung weiterarbeitete; dafür verpflichtete sich die Klägerin, der Beigeladenen einen etwa freiwerdenden Sachbearbeiter-Arbeitsplatz im Verkauf oder im Hauptbüro, Buchhaltung und Statistik ausgenommen, bevorzugt anzubieten, soweit die Beigeladene aufgrund ihrer Qualifikation zur Ausübung einer solchen Tätigkeit in der Lage sei. Dazu kam es jedoch nicht.
Im April 1985 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, daß in der Beziehung zur Beigeladenen Schwierigkeiten aufgetreten seien. Am 30.04.1985 besuchte ein Vertreter des Beklagten im Rahmen der nachgehenden Hilfe die Arbeitsstelle der Beigeladenen und erörterte mit dem Personalleiter, dem Abteilungsleiter, dem Betriebsratsvorsitzenden, einem weiteren Betriebsratsmitglied und der Beigeladenen die aufgetretenen Streitpunkte. Der Arbeitgeber trug vor, die Beigeladene weise seit ihrer Versetzung in die Schreibwarenabteilung erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten auf, verhandele nur noch in Anwesenheit ihrer Rechtsberaterin mit der Personalleitung, führe ständig Privatgespräche am Arbeitsplatz, stehe untätig in anderen Abteilungen herum und bleibe mit ihrer Arbeitsleitung weit hinter den anderen Mitarbeiterinnen zurück. Die Beigeladene bestritt die Vorwürfe hinsichtlich ihrer Arbeitsleistungen und ihres Verhaltens am Arbeitsplatz und beharrte darauf, bei Gesprächen mit der Personalleit...