Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittel. Anschlußberufung. Schwerbehinderte. Zustimmung zur Kündigung
Leitsatz (amtlich)
1. Betrifft ein als Anschlußberufung bezeichnetes Rechtsmittel einen anderen Streitgegenstand als die bereits eingelegte (Haupt-)Berufung, so handelt es sich nicht um eine unselbständige Anschlußberufung, sondern um ein selbständiges Rechtsmittel, das allen Anforderungen der §§ 124 ff. VwGO genügen muß (stand. Rspr. der obersten Gerichtshöfe des Bundes). Bezieht sich die (Haupt-)Berufung auf eine außerordentliche Kündigung eines Schwerbehinderten, die „Anschlußberufung” dagegen auf eine ordentliche Kündigung, liegen verschiedene Streitgegenstände vor.
2. Der Senat hält daran fest, daß es die Hauptfürsorgestelle bei der Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung nicht offenlassen darf, ob ein wichtiger Kündigungsgrund im Sinne des § 626 BGB vorliegt (Beschluß vom 16.02.1988 – 6 S 1430/86 – und Urteil vom 05.07.1989 – 6 S 1739/87 –).
Eine gegen diesen Grundsatz verstoßende Kündigungszustimmung darf aber im Regelfall des § 21 Abs. 4 SchwbG dennoch nicht gerichtlich aufgehoben werden, wenn die Hauptfürsorgestelle aufgrund vorhandener gewichtiger Anhaltspunkte – etwa wegen einer entsprechenden Äußerung des Arbeitsgerichts – davon hätte ausgehen dürfen, daß ein solcher wichtiger Grund vorlag.
Normenkette
VwGO § 127; SchwbG § 21 Abs. 2, 4; SGB X § 42
Verfahrensgang
VG Stuttgart (Urteil vom 06.10.1988; Aktenzeichen 9 K 295/88) |
Tenor
Auf die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 06. Oktober 1988 – 9 K 295/88 – geändert, soweit es sich auf die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung bezieht. Die Klage wird insoweit abgewiesen.
Die Anschlußberufung des Klägers gegen das obengenannte Urteil, soweit es sich auf die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung bezieht, wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen in beiden Rechtszügen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren durch die Beigeladene war notwendig.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der 1946 geborene Kläger wurde von der Beigeladenen zum 01.04.1982 als Direktor und Mitleiter ihrer Niederlassung in Stuttgart eingestellt. Am 26.02.1986 wurde er wegen eines festgestellten Diabetes mellitus als Schwerbehinderter anerkannt.
Am 18.03.1987 beantragte die Beigeladene beim Beklagten die Zustimmung zur außerordentlichen – hilfsweise ordentlichen – Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger. Sie begründete dies damit, der Kläger habe seine auf 0,75 bzw. 1,5 Millionen DM beschränkte Kreditkompetenz schwerwiegend überschritten und wirtschaftlich nicht zu vertretende Kredite von insgesamt mehr als 15 Millionen DM gewährt, ohne dies auch nur der Zentrale in Berlin zu melden. Erst als die zentrale Revision die Mißstände aufgedeckt habe, habe der Kläger seine Kompetenzüberschreitungen zugegeben. Er habe außerdem von seinen Leitungsfunktionen in der Niederlassung Stuttgart keinen ordnungsgemäßen Gebrauch gemacht, indem er nicht dagegen eingeschritten sei, daß der Leiter der dortigen Kreditabteilung eigenmächtig gefährliche Verfügungen in einer Größenordnung von 5 Millionen DM vorgenommen habe.
Der Beklagte hörte zu dem Antrag den Kläger an, der die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritt und im übrigen angab, er sei nicht verantwortlich für die Kreditabteilung gewesen und habe gegenüber dieser auch keine Kontrollfunktionen gehabt. Die Beigeladene versuche nur einmal mehr, ihn durch haltlose Vorwürfe als Schwerbehinderten loszuwerden.
Mit Bescheid vom 30.03.1987 stimmte der Beklagte der außerordentlichen Kündigung des Klägers zu. Er führte dazu aus, gemäß § 21 Abs. 4 SchwbG solle die beantragte Zustimmung erteilt werden, wenn die Kündigung aus einem nicht mit der Behinderung zusammenhängenden Grunde geplant sei, sofern der Antrag nicht ausnahmsweise aus einem sachlichen Grund abzulehnen sei. Ein Zusammenhang mit der Behinderung des Klägers (Diabetes mellitus) könne allenfalls wegen einer Bewußtseinstrübung bei einem einmaligen Vorgang angenommen werden, nicht jedoch bei fortgesetztem Verhalten, wie es hier an den Tag gelegt worden sei. Sollte trotzdem ein Zusammenhang zwischen Behinderung und Kündigungsgründen bestehen, sei die Zustimmung nach pflichtgemäßem Ermessen auch nicht zu versagen, weil der Beigeladenen die Weiterbeschäftigung des Klägers in einer derart risikoreichen Position nicht mehr zugemutet werden könne. Ob ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung im Sinne von § 626 BGB vorliege, könne nicht von der Hauptfürsorgestelle, sondern nur vom Arbeitsgericht gewürdigt werden.
Mit Bescheid vom 02.04.1987 stimmte der Beklagte auch der ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger zu. Der Kündigungsschutz des Klägers verliere an Intensität, da zwischen der Behinderung und den Kündigungsgründen kein Zusammenhang bestehe. Der Kläger habe die ihm z...