Entscheidungsstichwort (Thema)
Informationsweiterverwendung. Gleichbehandlung. Bundesverfassungsgericht. Dokumentationsstelle. Leitsätze. Orientierungssätze. Amtlich verfasst. Urheberrecht. Schutzrechte. Datenbankwerk. Datenbankhersteller. Gemeinfreiheit. Ausschließlichkeitsrecht. Evaluierungspflicht
Leitsatz (amtlich)
1. Orientierungssätze zu Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die von der Dokumentationsstelle des Gerichts verfasst werden, sind urheberrechtlich gemeinfrei.
2. Das Informationsweiterverwendungsgesetz – IWG – ist auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die mit solchen Orientierungssätzen versehen sind, anwendbar. Aus § 3 Abs. 1 Satz 1 IWG folgt grundsätzlich ein Gleichbehandlungsanspruch hinsichtlich der Überlassung dieser Entscheidungen zur Weiterverwendung.
3. An die Annahme der Ausnahmevoraussetzung, dass im öffentlichen Interesse ein ausschließliches Recht über die Weiterverwendung von Informationen erforderlich ist, sind strenge Anforderungen zu stellen. Die Aufrechterhaltung eines derartigen Rechts erfordert in tatsächlicher Hinsicht grundsätzlich eine regelmäßige, mindestens alle drei Jahre stattfindende Evaluierung mit entsprechender Markterkundung durch die öffentliche Stelle, die bei ihr vorhandene Informationen zur exklusiven Weiterverwendung zur Verfügung gestellt hat.
4. Das der JURIS GmbH vom Bundesverfassungsgericht vertraglich eingeräumte Ausschließlichkeitsrecht ist mit Ablauf des 31.12.2008 erloschen.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; RL 2003/98/EG Art. 2 Nr. 4, Art. 11; IWG § 1 Abs. 2, § 2 Nr. 3, § 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 4; UrhG §§ 4-5, 87a ff.
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 3. November 2011 – 3 K 2289/09 – geändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 21. Juli 2009 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin sämtliche Entscheidungen, die sie der Beigeladenen seit dem 1. Juni 2009 zum Zwecke der Veröffentlichung zur Verfügung gestellt hat, zu denselben Bedingungen und in derselben Form, wie sie der Beigeladenen zur Verfügung gestellt wurden, zu übermitteln.
Die Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge je zur Hälfte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Übermittlung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in derselben von Dokumentaren des Gerichts aufbereiteten Form, wie sie der Beigeladenen von der Beklagten zur Verfügung gestellt werden.
Die Klägerin bietet über das Internet eine juristische Datenbank an, in die unter anderem die vom Bundesverfassungsgericht getroffenen und zur Veröffentlichung bestimmten Entscheidungen aufgenommen werden sollen. Mit Schreiben vom 4. Juni 2009 an den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts beantragte die Klägerin, alle ab dem 1. Juni 2009 vom Bundesverfassungsgericht an die Beigeladene übermittelten Entscheidungen in identischer Form zum Aufbau einer juristischen Datenbank zur Verfügung gestellt zu bekommen. Dies lehnte das Bundesverfassungsgericht mit Schreiben vom 21. Juli 2009 ab, weil es für den Bezug von Entscheidungen (Datensätzen), die von der Dokumentationsstelle des Gerichts bearbeitet worden seien, keine rechtliche Grundlage gebe; dokumentarisch unbearbeitete Entscheidungen könne die Klägerin zu denselben Bedingungen wie die Beigeladene über den Verein der Richter des Bundesverfassungsgerichts e. V. beziehen.
Die Beigeladene, ein in Saarbrücken ansässiger Informationsdienstleister, der nach seiner satzungsrechtlichen Firmenbezeichnung als „Juristisches Informationssystem für die Bundesrepublik Deutschland” fungiert (§ 1 Abs. 1 der Satzung), betreibt arbeitsteilig mit dem Bundesverfassungsgericht und den obersten Gerichtshöfen des Bundes ein computergestütztes Rechtsinformationssystem. Unter anderem werden von der Dokumentationsstelle des Bundesverfassungsgerichts Datensätze erzeugt und der Beigeladenen übermittelt; diese Datensätze werden von vornherein nach Maßgabe der besonderen Ordnungsmerkmale der Datenbank der Beigeladenen erstellt und bilden die Systematik jener Datenbank ab (Entscheidungsdatum, Aktenzeichen, Entscheidungstyp, Gerichtstyp, Gerichtsort, Spruchkörper, vorgehende Entscheidung, Normenkette, Aktivzitierung, Titelzeile, Orientierungssätze). Grundlage des Zusammenwirkens zwischen dem Bundesverfassungsgericht und der Beigeladenen ist der „Vertrag über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der automatisierten Rechtsdokumentation (Verfassungsrecht)” vom 26. Mai 1994 (Vertrag „Verfassungsrecht”). Zur „Dokumentation” bestimmt § 2 Abs. 5 des Vertrages, dass das Bundesverfassungsgericht das Material in der für die Beigeladene besonders aufbereiteten Form während der Laufzeit des Vertrages nicht ohne Zustimmung der Beigeladenen an Dritte zum Aufbau anderer Datenbanken weitergeben wird. Nach § 3 Abs. 1 („Nutzungsbefugnis”) erhält die Beigeladene an den Dokumenten eine auf den Gesellsch...