Rechtskraft nein
Entscheidungsstichwort (Thema)
Fortsetzungsfeststellungsklage. Schadensersatzanspruch. Platzverweis. Wohnungsverweis. Rückkehrverbot. polizeiliche Generalklausel. Ermächtigungsgrundlage. Gesetzgebungskompetenz. Gesetzesvorbehalt. Parlamentsvorbehalt. Wesentlichkeitstheorie. Standardmaßnahme. Kriminalvorbehalt. Suizidgefahr. Freizügigkeit. Modellversuch. Gewaltschutzgesetz. häusliche Gewalt. Schutzgewahrsam
Leitsatz (amtlich)
Durch die polizeiliche Maßnahme des Wohnungsverweises mit Rückkehrverbot wird in den Schutzbereich des Grundrechts auf Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) eingegriffen.
Sie ist daher grundsätzlich nur zur Vorbeugung strafbarer Handlungen (Art. 11 Abs. 2 GG) zulässig.
Normenkette
GG Art. 11, 73 Nr. 3; VwGO § 113 Abs. 1 S. 4; PolG Bad.-Württ. §§ 1, 3, 28 Abs. 1 Nr. 2c
Verfahrensgang
VG Stuttgart (Urteil vom 06.05.2003; Aktenzeichen 5 K 4439/01) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 6. Mai 2003 – 5 K 4439/01 – geändert.
Es wird festgestellt, dass der Platzverweis des Beklagten vom 30. Oktober 2000 rechtswidrig war.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines polizeilichen Platzverweises.
Vom 27.6.1999 bis zum 30.10.2000 bewohnte der Kläger gemeinsam mit seinem damaligen Lebenspartner R. M. eine Wohnung in der xxxxxxxxxxxxxxxx xxx, xxxxxx xxxxxxxx. Am 26.10.2000 eröffnete der Kläger seinem Partner, R. M., dass er gedenke, zum 31.1.2001 auszuziehen. Aufgrund dieser Mitteilung kam es zu Unstimmigkeiten zwischen den Lebenspartnern. R. M. drohte dem Kläger, ihn nicht mehr in die Wohnung zu lassen. Der Kläger beanspruchte demgegenüber durch Schreiben eines beauftragten Rechtsanwalts vom 27.10.2000, noch bis zum 31.1.2001 in der Wohnung verbleiben zu können.
Am 30.10.2000 kam es aus Anlass der bevorstehenden Trennung erneut zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden Partnern. Nach der Darstellung des Klägers erhielt er an seinem Arbeitsplatz am frühen Nachmittag eine SMS von R. M., aus der hervorging, dass dieser sich das Leben nehmen wolle. Hierüber informierte der Kläger (um 17.30 Uhr) seine Hausärztin, Frau Dr. K. N., die durch den Kläger von mehreren zurückliegenden Suizidversuchen seines Partners wusste, und ließ sich von ihr vorsorglich eine „Verordnung von Krankenhausbehandlung” für R. M. erteilen, die als Begründung „Suizidgefahr” sowie „Selbst- und Fremdgefährdung” auswies. Nach der Rückkehr des Klägers in die Wohnung um 19.30 Uhr kündigte sein Partner erneut einen Suizid an und verließ mit Rucksack und Schlaftabletten die Wohnung. Hierüber verständigte der Kläger die Polizei auf dem Polizeirevier xxxxx-xxxxxxx-xxxxxxx, wo er kurz vor 20.00 Uhr eintraf und dort auch die ärztliche Einweisung vorlegte. Die dortigen Beamten informierten das für das Wohngebiet zuständige Polizeirevier xxxxxxxxxxxxx und das Führungs- und Lagezentrum der LPD Stuttgart II, die eine Funkstreife (PHM xxxxxxxx und Polizeimeisterin xxxxxxx) beauftragten, R. M. aufzusuchen, um der Angelegenheit nachzugehen. Die Besatzung des Funkstreifenwagens traf R. M. in seiner Wohnung an, nahm ihn in Gewahrsam und brachte ihn zunächst auf das Polizeirevier xxxxxxxxxxxxx. Von den dortigen Beamten, denen weitere zurückliegende Suizidversuche von R. M bekannt waren, wurde Kontakt zu der vom Kläger informierten Hausärztin aufgenommen, die sich bereit erklärte, R. M. zu untersuchen. Diese erklärte nach einem Gespräch mit R.M. gegenüber den Polizeibeamten, dass bei R. M. keine akute Suizidgefahr bestehe, so dass dieser in seine Wohnung zurückkehren könne. Es solle jedoch vermieden werden, dass die beiden Kontrahenten in der Nacht nochmals zusammentreffen. Als die beiden Beamten gegen 22.30 Uhr mit R. M. in die xxxxxxxxxxxxxxxx xxx zurückkehrten, befand sich dort der Kläger. Da sich R. M. als Hauptmieter zu erkennen gab, forderten die Beamten den Kläger zum Verlassen der Wohnung sowie unter Androhung von Zwangsmaßnahmen zur Herausgabe des Wohnungsschlüssels auf und übergaben den Schlüssel dem Partner. Der Kläger kam dem Wohnungsverweis nach, nachdem ihm zuvor Gelegenheit gegeben worden war, einige persönlichen Sachen zusammen zu packen; er wurde von der Polizei noch bis zu seinem Fahrzeug begleitet.
Am 29.10.2001 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben und die Feststellung beantragt, dass der Platzverweis vom 30.10.2000 rechtswidrig war. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, dass das polizeiliche Vorgehen rechtswidrig und insbesondere von keiner Rechtsgrundlage gedeckt sei. Nicht er, sondern sein ehemaliger Partner sei mit seinen häufigen Suizidversuchen Störer gewesen. Der Platzverweis habe ihn in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt. Infolge des Platzverweises sei R. M. die Möglichkeit eröffnet worden, auf sein noch in der Wohnung befindliches Eigentum zuzugreifen, was auch geschehen sei. Schließlich ...