Rz. 1

In Abschnitt 3 des Fünften Buches des Bürgerlichen Gesetzbuches finden sich zahlreiche Vorschriften über das Testament. Der erste Titel, Allgemeine Vorschriften, enthält hierbei insbesondere Auslegungsregeln. Die Vorschriften des ersten Titels gelten für alle letztwilligen Verfügungen.

 

Rz. 2

Die Vorschriften darüber, ob ein Testament wirksam ist oder nicht, finden sich überwiegend im Fünften Buch des BGB. Jedoch sind die Wirksamkeitsvoraussetzungen nicht ausschließlich dort geregelt. Vielmehr gelten für den Fall, dass keine besonderen Regelungen vorhanden sind, die Bestimmungen des Allgemeinen Teils. Es finden diejenigen allg. Vorschriften Anwendung, die nicht für empfangsbedürftige Willenserklärungen gelten. Insoweit ist § 116 S. 1 BGB[1] sowie § 118 BGB anwendbar, nicht jedoch § 116 S. 2 BGB und § 117 BGB, da ein Erklärungsempfänger nicht vorhanden ist.

 

Rz. 3

Bzgl. der Anfechtung wegen Willensmängeln stellen die §§ 2078 ff. BGB eine besondere Regelung dar. Da die Anfechtung jedoch hier nicht vollständig geregelt ist, kommen die Vorschriften des Allgemeinen Teils ergänzend zum Zuge.

 

Rz. 4

Für die Umdeutung gilt § 140 BGB auch im Erbrecht. Dagegen gilt für die Fälle der Teilnichtigkeit weitgehend § 2085 BGB anstelle von § 139 BGB. Die §§ 134, 138 BGB finden auch im Bereich des Erbrechts Anwendung.

 

Rz. 5

Im erbrechtlichen Teil sind die Voraussetzungen und Wirkungen der Verfügungen von Todes wegen sehr unübersichtlich geregelt. Die §§ 19371941 BGB regeln die gewillkürte Erbfolge und die Verfügungen von Todes wegen. Nach den allg. Vorschriften der §§ 20642086 BGB (persönliche Errichtung, Bestimmung des Bedachten, Bedingungen, Anfechtung u. Auslegung) folgt der wesentliche Inhalt der Testamente, nämlich Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge, Vermächtnis, Auflage, Testamentsvollstreckung, in den §§ 20872228 BGB. Sodann ist in den §§ 22292264 BGB die Errichtung und Aufhebung von Testamenten normiert. In den §§ 22652273 BGB finden sich die Vorschriften zum gemeinschaftlichen Testament. Wie vorstehend ausgeführt, handelt es sich u.a. in den §§ 20672072 BGB um gesetzliche Auslegungsregeln. Mit Hilfe dieser Regelungen soll die wirkliche Bedeutung einer in einer Verfügung von Todes wegen enthaltenen Erklärung des Erblassers ermittelt werden. Führt eine individuelle Auslegung nicht zum Erfolg, gelangt man mit Hilfe der gesetzlichen Auslegungsregeln zu einem auf der Rechtserfahrung beruhenden standardisierten Ergebnis. Die gesetzlichen Regelungen kommen dann zur Anwendung, wenn der Erblasser eine Formulierung gewählt hat, die von vornherein unklar und damit auslegungsfähig ist.

 

Rz. 6

Es gibt aber auch solche Fälle, bei denen die errichtete letztwillige Verfügung bei ihrer Abfassung eindeutig war, der Sachverhalt sich allerdings später ändert und der Erblasser hierfür keine Regelungen vorgesehen hat. In den Fällen, in denen eine derartige Unklarheit bzw. Lückenhaftigkeit von Gesetzes wegen behoben wird, sprechen wir von gesetzlichen Regeln der ergänzenden Testamentsauslegung. Hierunter fallen die Regelungen in den §§ 2076 u. 2077 BGB.

 

Rz. 7

Die gesetzlichen Auslegungsregeln finden also für solche Sachverhalte Anwendung, die unklar sind, die gesetzlichen Ergänzungsregeln dort, wo ein nachträglich eintretender Sachverhalt nicht geregelt ist. Die Grenze zwischen unklaren und unvollständigen Regelungen ist jedoch sehr schwer zu ziehen.[2]

 

Rz. 8

Die gesetzlichen Auslegungs- und Ergänzungsregeln gelten auch für die letztwilligen Verfügungen, die vor Inkrafttreten des BGB verfasst worden sind. Voraussetzung ist jedoch, dass der Erblasser nach Inkrafttreten verstorben ist.[3] Nach einer Ansicht sollen die gesetzlichen Auslegungs- und Ergänzungsregeln nur dann Anwendung finden, wenn weder die einfache noch die ergänzende Auslegung zur Klärung des Erblasserwillens führt.[4] Nach anderer, richtiger Ansicht geht jedoch die Anwendung von Auslegungsregeln in den Fällen, in denen es um einen streitigen Erblasserwillen geht, der Ermittlung und Würdigung von Umständen für einen abweichenden Willen des Erblassers vor.[5]

 

Rz. 9

Die Vorschrift des § 138 Abs. 1 BGB gilt auch für testamentarische Verfügungen. Allerdings ist die praktische Bedeutung heute gering. Dies hängt mit einer grundlegenden Veränderung der Maßstäbe zusammen, die für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit herangezogen werden.[6]

 

Literaturtipps

Literatur

Keuk, Der Erblasserwille post testamentum und die Auslegung des Testamentes, 1965;

Tappmeier, Die erbrechtlichen Auslegungsvorschriften in der gerichtlichen Praxis, NJW 1988, 2715.

[1] RGZ 104, 320, 322; BayObLG FamRZ 1977, 347 f.; OLG Frankfurt FamRZ 1993, 858, 860.
[2] MüKo/Leipold, Vor § 2064 Rn 3,4; Lange/Kuchinke § 34 VI 1c, 2; Keuk, Erblasserwille und Auslegung des Testaments, 1965, S. 29 ff., 59; gegen eine Unterscheidung spricht sich Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rn 98 ff., aus.
[3] RGZ 59, 80, 83; RGZ 76, 20, 22; RGZ 79, 32.
[4] Lange/Kuchinke, § 33 III 2b.
[5] Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rn 112; Tappmeie...

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