Leitsatz
Unterlässt der Verantwortliche während des Laufs der Insolvenzantragsfrist nach § 64 Abs. 1 GmbHG die Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen an die Sozialversicherung, macht er sich nicht nach § 266a Abs.1 StGB strafbar. Die Strafvorschrift des § 266a Abs. 1 StGB verlangt auch dann die vorrangige Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen, wenn die Zahlung möglicherweise im Insolvenzverfahren später angefochten werden kann.
Sachverhalt
Im Zuge der Wirtschaftskrise im Baugewerbe geriet die GmbH des Angeklagten A im Jahr 1997 in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Sie war spätestens mit Ablauf des 30.9.1997 zahlungsunfähig und erheblich überschuldet. Obwohl der Angeklagte die Zahlungsunfähigkeit erkannte, stellten er und der Mitangeklagte O keinen Insolvenzantrag. Sie veräußerten in einem Notartermin am 5.12.1997 ihre Geschäftsanteile an einen sog. "Firmenbeerdiger". Dessen Funktion bestand im Wesentlichen darin, durch Sitz- und Firmenänderungen die Gläubiger der Gesellschaft faktisch abzuschütteln und zur Aufgabe der Verfolgung ihrer Ansprüche zu veranlassen. Im Notartermin wurden A und O als Geschäftsführer abberufen. Beide unterließen es, die Arbeitnehmerbeiträge an die Sozialversicherungsträger abzuführen. Dies betraf gegenüber jeweils unterschiedlichen gesetzlichen Krankenkassen die Beiträge für Oktober, November und Dezember 1997. Die GmbH hat dadurch Beitragsrückstände in Höhe von etwa 23000 DM auflaufen lassen. Die Revision gegen das vom LG ausgesprochene Urteil hatte keinen wesentlichen Erfolg.
Entscheidung
Der BGH hebt hervor, dass der Geschäftsführer nach § 64 Abs. 1 GmbHG unverzüglich, spätestens aber nach drei Wochen, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hätte beantragen müssen. Diese Drei-Wochen-Frist des § 64 Abs. 1 GmbHG ist eine Höchstfrist, die mit der Kenntnis des Organs beginnt. Sie dient dazu, den Organen der Gesellschaft noch die Möglichkeit zu geben, Sanierungsversuche durchzuführen. Erkennt das Organ, dass etwaige Bemühungen fehlgeschlagen sind, muss ein Insolvenzantrag sofort, also auch vor Ablauf der Drei-Wochen-Frist, gestellt werden.
Während des Laufs dieser Frist ist die verteilungsfähige Vermögensmasse einer insolvenzreifen GmbH im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger zu erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern. Nach § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG haftet der Geschäftsführer für den Fall persönlich, dass nach Eintritt der Insolvenzreife Zahlungen der Gesellschaft geleistet werden. Dies hat auch Auswirkungen auf die Auslegung des § 266a Abs. 1 StGB. Eine Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge würde letztlich die Masse schmälern. Dieses Ergebnis wäre mit dem Schutzzweck des § 64 Abs. 2 GmbHG nicht vereinbar, der gerade die Massesicherung und -erhaltung gewährleisten soll. Dazu stünde aber die strafbewehrte Pflicht zur Zahlung von Arbeitnehmerbeiträgen in Widerspruch. Dieser ist nach Auffassung des BGH allein dadurch aufzulösen, dass die Regelung des § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG während des Laufs der Drei-Wochen-Frist die Nichtabführung der Arbeitnehmerbeiträge rechtfertigt. Die Strafbarkeit entfällt also in diesem Zeitraum. Auch zivilrechtliche Ersatzansprüche entstehen nicht, da die Bestimmungen von § 823 Abs. 2 BGB und § 266a StGB gerade nicht erfüllt werden. Lässt der Geschäftsführer die Frist für die Stellung des Konkursantrages verstreichen, fällt diese sich aus § 64 Abs. 2 GmbHG ergebende Rechtfertigung indes wieder weg. Denn sie privilegiert lediglich die noch aussichtsreichen Sanierungsversuche nach Eintritt der Krise, und zwar beschränkt auf einen Zeitraum von höchstens drei Wochen. Soweit dann noch Mittel des Unternehmens zur Verfügung stehen, sind diese in erster Linie für die Begleichung der Arbeitnehmerbeiträge im Sinne des § 266a Abs. 1 StGB einzusetzen. Auf theoretische Anfechtungsmöglichkeiten eines Insolvenzverwalters kommt es, so der Senat, in diesem Zusammenhang nicht an.
Praxishinweis
Der BGH betont, dass ein Geschäftsführer grundsätzlich für die Erfüllung auch sozialversicherungsrechtlicher Obliegenheiten umfassend verantwortlich ist. Hierbei kommt es nicht auf eine mögliche interne Arbeitsteilung zwischen mehreren Organen an. Dies gilt gerade dann, wenn der jeweilige Betroffene durch gesellschaftsinterne Informationen auf eine mögliche Schieflage hingewiesen wird.
Link zur Entscheidung
BGH, Beschluss vom 30.07.2003, 5 StR 221/03