1 Leitsatz
Die Nichtigkeit eines Beschlusses wegen Unbestimmtheit ist auf Extremfälle beschränkt, in denen der Beschluss keinen durchführbaren Inhalt hat, widersprüchlich ist oder nach Auslegung nicht eindeutig ist, welche von mehreren Möglichkeiten gewollt ist. Kann dem Beschluss durch Auslegung ein durchführbarer Regelungsgehalt noch entnommen werden (hier Sonderumlage mit "ca.- Angabe"), kann die fehlende Bestimmtheit nur als Anfechtungsgrund gerügt werden.
2 Normenkette
§§ 23 Abs. 4, 28 Abs. 1 Satz 1 WEG
3 Das Problem
In einer Wohnungseigentumsanlage gibt es 5 Wohnungseigentumsrechte. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer K verlangt von B als Erben des verstorbenen Wohnungseigentümers Z die Zahlung einer "Sonderumlage" in Höhe von 6.489,16 EUR. Die übrigen Wohnungseigentumsrechte haben einen Eigentümer (Y). Nach einer Niederschrift hat Y unter einem TOP 5.2 "Instandsetzung Außenanlage Gemeinschaftseigentum" sowie die Erhebung einer Sonderumlage in Höhe von "ca. 18.000 EUR" beschlossen. Der Umlageschlüssel soll sich nach den Miteigentumsanteilen richten. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer K klagt gegen B auf Zahlung von 6.489,16 EUR. B erklärt sich mit Nichtwissen, ob es überhaupt eine Versammlung gab. Jedenfalls sei der Beschluss zu TOP 5.2 wegen Unbestimmtheit nichtig. So sieht es auch das AG. Die zu erhebende Sonderumlage sei nicht konkret beziffert und aus dem Beschluss ergebe sich nicht, welchen Umfang die Maßnahme haben solle. Dagegen wendet sich K.
4 Die Entscheidung
Mit Erfolg! K könne ihren Anspruch auf den Beschluss zu TOP 5.2 stützen. Die Beweislast für die Behauptung, die Niederschrift sei falsch, treffe B. Diesen Beweis habe er nicht erbracht. B dürfe sich zur Versammlung auch nicht mit Nichtwissen erklären. Der Beschluss zu TOP 5.2 sei im Übrigen zwar anfechtbar gewesen. Er sei aber nicht nichtig! Nichtig wegen Unbestimmtheit sei ein Beschluss nur dann, wenn er keinen durchführbaren Inhalt habe, nicht eindeutig sei, welche von mehreren Möglichkeiten gewollt sei, oder der Beschluss widersprüchlich sei. Lasse der Beschluss noch einen durchführbaren Regelungsinhalt erkennen, führe dies nicht zur Nichtigkeit, sondern lediglich zur Anfechtbarkeit. Nach dem "klaren Konzept des § 23 Abs. 4 WEG" sei die Nichtigkeit von Beschlüssen die Ausnahme und setze mehr als eine materielle oder formale Fehlerhaftigkeit des Beschlusses voraus. Die Annahme, ein Beschluss sei nichtig, müsse auf "Extremfälle" beschränkt bleiben. Nach diesem Maßstab sei der Beschluss aber nur anfechtbar gewesen. Er enthalte zwar mit der Angabe "ca. 18.000 EUR" keine eindeutige Angabe für die Höhe der Sonderumlage. Die Angabe sei aber nach der maßgeblichen objektiv-normativen Auslegung dahingehend zu verstehen, die Sonderumlage habe 18.000 EUR betragen sollen. Auch der angegebene Umlageschlüssel "nach den Miteigentumsanteilen" sei hinreichend bestimmt, da eindeutig berechenbar und somit objektiv-normativ völlig eindeutig. Die Höhe der Miteigentumsanteile lasse sich nämlich eindeutig aus der Teilungserklärung entnehmen. Unerheblich sei, dass der Beschluss die Maßnahme, für die die Sonderumlage eingeholt werden solle, nur rudimentär bezeichne. Die Angabe "Instandsetzung Außenanlage Gemeinschaftseigentum" sei ausreichend.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es neben der Frage, ob es überhaupt eine Versammlung gab, in der Vorschüsse ohne Wirtschaftsplan bestimmt worden waren (= eine "Sonderumlage"), um die Frage, wann ein Beschluss, mit dem Vorschüsse ohne Wirtschaftsplan bestimmt werden, ausreichend bestimmt ist. Eine Frage ist, welcher Umlageschlüssel ihm zugrunde liegt. Eine andere Frage, wie hoch der Gesamtbetrag sein soll. Das LG entscheidet sich für die 1. Frage naheliegend mit dem Wortlaut des Beschlusses. Das ist nicht zu beanstanden. Bei der 2. Frage meint das LG, man könne im Wege der Auslegung die Höhe des Betrages bestimmen, den die Wohnungseigentümer durch den Beschluss aufbringen wollten. Das ist vertretbar. Bei dem "ca." ging es ggf. auch um die voraussichtlichen Kosten, nicht die Höhe des Vorschusses.
Was ist für die Verwaltung besonders wichtig?
Sollen Vorschüsse ohne Wirtschaftsplan bestimmt werden, sollte in der Praxis dennoch ganz anders formuliert werden. Am besten nennt eine Tabelle für jedes Wohnungseigentumsrecht, welchen Vorschuss sein Eigentümer nach welchem Umlageschlüssel zu tragen hat.
6 Entscheidung
LG Frankfurt a. M., Urteil v. 27.7.2023, 2/13 S 94/22