1 Leitsatz
Werden "die vorgelegten Gesamt- und Einzelwirtschaftspläne für 2021 zur Beschlussfassung gestellt" so ist dieser Beschluss dahingehend auszulegen, dass lediglich die Höhe der in den Einzelwirtschaftsplänen ausgewiesenen Beiträge (Vorschüsse) festgelegt werden sollen.
2 Normenkette
§ 28 Abs. 1 Satz 1 WEG
3 Das Problem
Die Wohnungseigentümer fassen folgenden Beschluss: "Der Wirtschaftsplan für 2021 soll auch für das Jahr 2022 gültig sein". Fraglich ist, ob damit Vorschüsse i. S. v. § 28 Abs. 1 Satz 1 WEG begründet wurden.
4 Die Entscheidung
Das LG bejaht die Frage! Die Wohnungseigentümer hätten mit dieser Beschlussfassung die Höhe der in den Einzelwirtschaftsplänen ermittelten Vorschüsse festlegen wollen. Dies ergebe sich zwar nicht aus dem Wortlaut des Beschlusses. Der Regelungsgehalt des Beschlusses könne aber durch eine Auslegung ermittelt werden. Beschlüsse seien "aus sich heraus" auszulegen. Es komme bei der gebotenen objektiven Auslegung maßgebend darauf an, wie der Beschluss nach seinem Wortlaut und Sinn für einen unbefangenen Betrachter nächstliegend zu verstehen sei. Auf die subjektiven Vorstellungen der beteiligten Wohnungseigentümer komme es nicht an. Aus der Sicht eines unbefangenen Betrachters sei die nächstliegende Bedeutung, dass die Wohnungseigentümer die Höhe der Vorschüsse festgesetzt hätten.
Der Beschluss sei auch nicht deshalb für ungültig zu erklären, weil K behaupte, einzelne in den Wirtschaftsplan eingestellte Kosten seien nach einem fehlerhaften Umlageschlüssel umgelegt worden. K hätte bereits innerhalb der Anfechtungsfrist vortragen müssen, dass sich dieser Fehler auch auf seine Zahlungspflichten ausgewirkt habe. Gehe ein Wohnungseigentümer gegen einen Beschluss nach § 28 Abs. 1 Satz 1 WEG vor, müsse er innerhalb der Begründungsfrist vortragen, dass und in welchem Maße sich der gerügte Fehler auf seine Zahlungspflicht auswirke. Es genüge nicht, innerhalb dieser Frist lediglich Umstände vorzutragen, aus denen sich ein solcher Beschlussmangel möglicherweise ergeben könne.
5 Hinweis
Problemüberblick
In dem Fall geht es zum einen um die Frage, wie der Beschluss nach § 28 Abs. 1 Satz 1 WEG zu formulieren und nach § 23 Abs. 2 WEG anzukündigen ist. Zum anderen geht es um eine prozessuale Frage: Was muss innerhalb der Frist des § 45 Satz 1 Fall 2 WEG vorgetragen werden?
Das LG meint, man müsse bei einem Beschluss nach § 28 Abs. 1 Satz 1 WEG nicht unbedingt ausdrücklich über die Vorschüsse bestimmen. Auch wenn die Wohnungseigentümer den Wirtschaftsplan des Vorjahres für "gültig" erklären, sei erkennbar, dass sie Vorschüsse bestimmen wollen.
Diese Sichtweise ist sehr großzügig. Man kann aber auch meinen, es seien keine Vorschüsse bestimmt worden. Keine Verwaltung sollte jedenfalls so vorgehen, wie die Verwaltung im Fall. In der Tagesordnung sollte vielmehr angekündigt werden, dass die Wohnungseigentümer über die Vorschüsse für das nächste Jahr abstimmen sollen (nach richtiger Ansicht entspricht es allein ordnungsmäßiger Verwaltung, über die Vorschüsse im Vorjahr zu bestimmen). In der Versammlung sollten dann die Vorschüsse so bestimmt werden, dass in der Niederschrift deutlich wird, welcher Wohnungseigentümer in Bezug auf welches Wohnungseigentum welchen Vorschuss in welchem Monat (oder im Quartal oder für das ganze Jahr) schuldet.
Ausreichender Vortrag für eine Anfechtung
Eine Anfechtungsklage muss – wie jede Klage – begründet werden. Die Besonderheit im Wohnungseigentumsrecht besteht darin, dass die Begründung gem. § 45 Satz 1 WEG innerhalb zweier Monate nach der Beschlussfassung geboten werden muss. Das LG ist an dieser Stelle sehr streng. Es meint wohl, der klagende Wohnungseigentümer müsse nicht nur den Mangel selbst benennen, sondern auch dazu ausführen, wie sich der Mangel auf die Höhe des Vorschusses auswirke. Ich selbst denke, das ist zu eng gedacht.
6 Entscheidung
LG Berlin, Urteil v. 30.8.2022, 55 S 7/22 WEG