Leitsatz
Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10.4.1995 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Erbringer von Telekommunikationsdienstleistungen wie der am Ausgangsverfahren beteiligte danach berechtigt ist, in diesem Mitgliedstaat die Mehrwertsteuer abzuziehen oder erstattet zu bekommen, die im Zusammenhang mit Telekommunikationsdienstleistungen, die gegenüber einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen erbracht wurden, als Vorsteuer entrichtet wurde, wenn einem solchen Dienstleistungserbringer dieses Recht für den Fall zustünde, dass die fraglichen Dienstleistungen innerhalb des erstgenannten Mitgliedstaats erbracht worden wären.
Problematik
Bei dem Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Frage der Berechtigung zum Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit Telekommunikationsumsätzen, deren Ort am Sitzort des Leistungsempfängers und damit in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Ansässigkeit des leistenden Unternehmers liegt.
Das Verfahren betraf die Auslegung von Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 169 Buchst. a MwStSystRL). Danach kann der Unternehmer den Vorsteuerabzug auch dann geltend machen, wenn die mit der Steuer belasteten Eingangsleistungen für Ausgangsleistungen verwendet werden, die "sich aus den im Ausland ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeiten … ergeben, für die das Recht auf Vorsteuerabzug bestünde, wenn diese im Inland bewirkt worden wären" (Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie), bzw. die "außerhalb des Mitgliedstaats, in dem diese Steuer [d.h. die Vorsteuer] geschuldet oder entrichtet wird, bewirkt werden und für die das Recht auf Vorsteuerabzug bestünde, wenn sie in diesem Mitgliedstaat [d.h. in dem Mitgliedstaat, in dem die Vorsteuer als Ausgangssteuer geschuldet wird] bewirkt worden wären". Das bedeutet, der Unternehmer verliert das Vorsteuerabzugsrecht für seine Eingangsumsätze nicht dadurch, dass er den betreffenden Ausgangsumsatz nicht im Inland bewirkt.
Die Klägerin, Tochtergesellschaft eines niederländischen Telekommunikationsunternehmens, erbrachte im Streitjahr 1999 Telekommunikationsdienstleistungen an einen in Irland ansässigen Unternehmer. Der Ort dieser Telekommunikationsdienstleistungen bestimmte sich nach italienischem Recht auf der Basis der (auch gegenüber einer Reihe anderer Mitgliedstaaten im Vorgriff auf die mit Wirkung vom 1.1.2000 ergangene Richtlinie 1999/59/EG des Rates v. 17.6.1999, ABl. EU Nr. L 162, S. 63) Entscheidung 97/207/EG des Rates v. 17.3.1997 (ABl. EU Nr. L 86, S. 19). Danach lag der Ort von Telekommunikationsdienstleistungen, die an einen Unternehmer im EU-Ausland erbracht werden, im Mitgliedstaat der Ansässigkeit des Leistungsempfängers. Im vorliegenden Fall waren also die Leistungen der Klägerin nicht in Italien, sondern in Irland steuerbar.
Das Vorlagegericht wollte wissen, ob Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie nur auf die Fälle abstellt, in denen sich der tatsächliche Leistungsort in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Ansässigkeit des leistenden Unternehmers befindet, oder ob die Regelung generell auf den mehrwertsteuerrechtlichen Ort (also wie im Vorlagefall aufgrund der rechtlichen Verlagerung des Leistungsorts von Italien nach Irland) abstellt.
Entscheidung des EuGH
Der EuGH hat ganz deutlich entschieden, dass es auf den rechtlichen Leistungsort ankommt. Folglich war im Vorlagefall die Voraussetzung für das Recht auf Vorsteuerabzug gem. Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie erfüllt. Eine Tätigkeit wird nach dem EuGH-Urteil nach dieser Vorschrift dann "im Ausland ausgeübt" (bzw. nach Art. 169 Buchst. a MwStSystRL auch dann "außerhalb des Mitgliedstaats … bewirkt"), wenn sich der Leistungsort rechtlich aufgrund des Empfängerortprinzips dorthin verlagert bzw. er dort als belegen gilt, und nicht nur, wenn der tatsächliche Leistungsort im Ausland liegt.
Konsequenzen für die Praxis
Alles andere als dieses vom EuGH gefundene Ergebnis wäre eine große Überraschung gewesen. Im Fall der Versagung des Vorsteuerabzugs im Zusammenhang mit im Ausland steuerbaren – vorsteuerunschädlichen – Umsätzen ergäbe sich nämlich eine steuerliche Ungleichbehandlung im Inland und im Ausland erbrachter Umsätze, was der bisherigen EuGH-Rechtsprechung und dem Neutralitätsprinzip der Mehrwertsteuer widersprechen würde.
Das Urteil bestätigt demzufolge auch die deutsche Rechtslage. Für das Recht auf Vorsteuerabzug gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG ist es unerheblich, ob die Ausgangsumsätze im In- oder Ausland erbracht werden. Denn § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG i.V.m. mit den weiteren Voraussetzungen in § 15 Abs. 3 Nr. 2 UStG schließt den Vorsteuerabzug im Hinblick auf im Ausland erbrachte Ausgangsleistungen nur dann aus, wenn diese im Inland – vorsteuerschädlich – umsatzsteuerfrei wären.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil v. 2.7.2009, C-377/08 (EGN BV – Filiale Italiana), BFH/NV 2009 S. 1376