1 Leitsatz
Das Auslegen von trockener Wäsche am geöffneten Fenster zum Zwecke des Auslüftens stellt keinen erheblichen Nachteil für die übrigen Wohnungseigentümer dar. Hierin liegt nach objektiver Betrachtung ein in vielen Haushalten übliches und sozialadäquates Verhalten.
2 Normenkette
§§ 14, 19 WEG
3 Das Problem
Wohnungseigentümerin K geht gegen Wohnungseigentümer B auf Unterlassung vor. B hängt bzw. legt seit 30 Jahren morgens regelmäßig Kopfkissen und Zudecken zum Lüften über die Fensterbrüstung des geöffneten Schlafzimmerfensters. Dieses Schlafzimmerfenster befindet sich oberhalb eines Fensters der klägerischen Wohnung. K beruft sich auf die Hausordnung. Dort heißt es: "Aus den Fenstern darf nichts geworfen, geschüttet oder geschüttelt werden. Auch darf dort keine Wäsche aufgehängt werden."
K meint, durch das Schütteln der (Bett-)Wäsche über das geöffnete Fenster ihrer Wohnung würden Staub oder lose Teile der betreffenden Wäschestücke in ihre Wohnung gelangen. Zum Teil hänge die Bettwäsche über mehrere Stunden im Fenster. Das Verhalten sei ihr schon aus hygienischen Gründen nicht zumutbar, da auf diese Weise Staub, Haare und Ähnliches in die Wohnräume eindringen könnten. B erklärt, lediglich 2 Kopfkissen, 2 kleine Kissen und 2 Bettdecken zum Lüften auf den Fenstersims des Schlafzimmerfensters zu legen. Es werde zu keinem Zeitpunkt Bett- oder andere Wäsche aus dem Fenster ausgeschüttelt. Auch werde keine Wäsche, insbesondere keine tropfnasse Wäsche auf dem Fenstersims der Wohnung aufgehängt. Da er nichts ausschüttele, würden weder Staub noch sonstige lose Teile in die Wohnung der K gelangen.
Das AG weist die Klage ab. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus, K habe ihre Behauptung, B schüttele seine Bettwäsche morgens am geöffneten Fenster aus, nicht bewiesen. Das bloße Auslegen der Bettwäsche verstoße nicht gegen die Hausordnung. Hiergegen wendet sich K mit ihrer Berufung.
4 Die Entscheidung
Ohne Erfolg! K habe keinen Anspruch auf Unterlassung. Das Verhalten des B stelle keine Einwirkung auf das Sondereigentum der K dar, aus der ihr über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil entstehe. Relevanter Nachteil in diesem Sinne sei jede nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung, die den Grad einer Bagatelle überschreite. Ganz geringfügige Beeinträchtigungen seien hingegen zu dulden. Der Nachteil sei nach objektiven Kriterien zu ermitteln. Beeinträchtigungen durch sozialadäquates Verhalten seien regelmäßig hinzunehmen. Das Auslegen von Wäsche am geöffneten Fenster zum Zwecke der Lüftung stelle nach diesem Maßstab keinen erheblichen Nachteil dar. Hierin liegt nach objektiver Betrachtung ein in vielen Haushalten übliches und sozialadäquates Verhalten. Auch wenn sich dabei gegebenenfalls in geringem Umfang einzelne Haare o. ä. von den Wäschestücken lösten und im Einzelfall – beispielsweise bei zufälligen Windverwehungen – in das Sondereigentum der K gelangen könnten, stelle dies lediglich eine ganz geringfügige Beeinträchtigung dar und ändere an der Sozialadäquanz des Verhaltens nichts.
B verstoße auch nicht gegen die Hausordnung. Diese sei objektiv und normativ auszulegen. Dabei sei regelmäßig zwischen dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme einerseits, zum Beispiel bei etwaigen speziellen Bedürfnissen nur weniger Wohnungseigentümer, und dem Gebot der Gleichbehandlung andererseits, abzuwägen. Auch die Verkehrsanschauung darüber, ob bestimmte Verhaltensweisen oder Beschränkungen noch als angemessen oder schon als unzumutbar gelten, spiele eine Rolle bei der Auslegung. Nach diesem Maßstab stelle das bloße Auslegen der Bettwäsche auf dem Fensterbrett keinen Verstoß gegen die Hausordnung dar.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es um die Frage, ob und in welchem Umfang ein Wohnungseigentümer gegen seine Pflichten aus § 14 WEG verstößt, wenn er Wäsche lüftet.
Wäschelüften
Jeder Wohnungseigentümer (hier: B) ist nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG gegenüber den übrigen Wohnungseigentümern (hier: K) verpflichtet, deren Sondereigentum nicht über das in § 14 Abs. 1 Nr. 2 WEG bestimmte Maß hinaus zu beeinträchtigen.
Nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 WEG ist jeder Wohnungseigentümer unter anderem verpflichtet, Einwirkungen auf das Sondereigentum zu dulden, die den Vereinbarungen oder Beschlüssen entsprechen oder, wenn keine entsprechenden Vereinbarungen oder Beschlüsse bestehen, aus denen ihm über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus kein Nachteil erwächst. Auf deutsch: Ein Wohnungseigentümer darf dem anderem Wohnungseigentümer in Bezug auf das Sondereigentum keine vermeidbaren Nachteile zufügen!
Was "Nachteil" in diesem Sinne ist, muss man auslegen. K sieht es als Nachteil an, dass Staub oder lose Teile in ihre Wohnung gelangen. Das LG meint hingegen, das sei eine lediglich ganz geringfügige Beeinträchtigung und üblich. Beide Standpunkte sind vertretbar. Mich überzeugt das LG mehr.
Hausordnung
Die Wohnungseigentümer können in der Hausordnung regeln, dass man Wäsche lüften darf. Das haben sie im Fall getan. Es ist danach lediglich verboten, die Bet...