Leitsatz

Das Verfügungsgeschäft wird in der Regel von der Sittenwidrigkeit des Verpflichtungsgeschäfts nicht erfasst, es sei denn, dass die Unsittlichkeit gerade im Vollzug der Leistung liegt. Hiervon ist bei wucherähnlichen Rechtsgeschäften nicht auszugehen

 

Normenkette

§ 16 Abs. 2 WEG; § 138 BGB

 

Das Problem

Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer klagt gegen einen Wohnungseigentümer rückständiges Hausgeld ein. Der Beklagte wendet ein, das Hausgeld nicht zu schulden, da er kein Wohnungseigentümer sei. Zur Begründung führt er an, der Kaufvertrag sei nichtig, da er die Eigentumswohnung überteuert erworben habe.

 

Entscheidung

  1. Die Klage hat Erfolg. Der Beklagte ist Wohnungseigentümer. Weder die Anfechtung des Kaufvertrags noch eine etwaige Nichtigkeit des Kaufvertrags änderten hieran etwas. Denn selbst wenn der Kaufvertrag wegen einer sittenwidrigen Überhöhung des Kaufpreises gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein sollte, beträfe dies die Eigentümerstellung des Beklagten nicht, sondern führte lediglich zu einem Rückabwicklungsanspruch aus §§ 812 ff. BGB gegen die Verkäuferin.
  2. Das Verfügungsgeschäft würde von einer etwaigen Sittenwidrigkeit des Verpflichtungsgeschäfts in der Regel nicht erfasst – es sei denn, dass die Unsittlichkeit gerade im Vollzug der Leistung läge (Hinweis auf BGH v. 20.1.2006, V ZR 214/04, NJW-RR 2006 S. 888, 889; BGH v. 3.10.1989, XI ZR 154/88, NJW 1990 S. 384). Hiervon sei jedoch auch bei wucherähnlichen Rechtsgeschäften gerade nicht auszugehen, da sich das Missverhältnis im Äquivalenzverhältnis ausschließlich auf das Kausalgeschäft beziehe, nicht jedoch auf das Erfüllungsgeschäft (BGH v. 21.3.1997, V ZR 355/95, DNotZ 1997 S. 707). Eine Nichtigkeit des Erfüllungsgeschäfts käme vielmehr nur dann in Betracht, wenn mit ihm ein eigener sittenwidriger Zweck verfolgt würde. Hierfür sei nichts ersichtlich. Die vom Beklagten geltend gemachte Unausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung beträfe allein das Kausalgeschäft und wirke sich auf das Erfüllungsgeschäft nicht aus.
  3. Nichtigkeit folge ferner nicht daraus, dass Grund- und Erfüllungsgeschäft durch den Willen der Parteien hier zu einer Einheit i.S.d. § 139 BGB zusammengefasst wären. Denn ein derartiger Parteiwille sei grundsätzlich nicht zu unterstellen – selbst dann nicht, wenn Kaufvertrag und Auflassung in derselben Urkunde enthalten seien (BGH v. 24.5.1985, V ZR 47/84, NJW 1985 S. 3006, 3007).
  4. Im Übrigen wäre die Erfüllungshandlung der Verkäuferin selbst dann nicht von der Nichtigkeit des Kaufvertrags erfasst, wenn die Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB vorlägen. Denn selbst bei einer Nichtigkeit des Kaufvertrags aufgrund von Wucher erstrecke sich die Nichtigkeit nur auf das Erfüllungsgeschäft des Bewucherten, nicht jedoch auf das Erfüllungsgeschäft des Wucherers. Dieses folge neben dem Wortlaut, der ausdrücklich nur auf das "gewähren" lassen der Vorteile abstelle, auch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Denn der Bewucherte solle durch die Nichtigkeit geschützt werden und keine eigenen Rechtspositionen verlieren. Dies wäre aber der Fall, wenn auch sein Erfüllungsgeschäft von der Nichtigkeit erfasst wäre. In diesem Fall stünden dem Wucherer nämlich unmittelbar auf sein Eigentum gestützte Herausgabeansprüche zu. Bleibe hingegen das Erfüllungsgeschäft des Wucherers wirksam, bestünden gegen den Bewucherten nur Bereicherungsansprüche, die indes – anders als auf das Eigentum gestützte Herausgabeansprüche – unter anderem gemäß § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen sein können (Hinweis auf BGH v. 17.1.1995, XI ZR 225/93, NJW 1995 S. 1152).
  5. Auch die vom Beklagten vorgenommene Anfechtung des Kaufvertrags ändere nichts. Die Anfechtung erfasse nicht die Erfüllungshandlung der Verkäuferin. Zwar entspreche es gefestigter Rechtsprechung, dass in Fällen, in denen sich der für das Verpflichtungsgeschäft bestehende Anfechtungsgrund auch auf das Erfüllungsgeschäft erstreckt, auch das dingliche Erfüllungsgeschäft von der Anfechtung erfasst werde. Hiervon könne auch bei einer arglistigen Täuschung ausgegangen werden, wenn der täuschungsbedingte Irrtum auch bei dem Erfüllungsgeschäft noch andauerte. Indes erstrecke sich die Nichtigkeit auch hier lediglich auf das Erfüllungsgeschäft des Anfechtungsgegners, denn nur bei diesem könne die Täuschung sich kausal auf die abgegebenen Willenserklärungen ausgewirkt haben. Demgegenüber könne der Willensmangel sich auf das abstrakte Erfüllungsgeschäft des Anfechtungsgegners bei dem sich die Willensbetätigung des Anfechtenden auf Annahme nicht auswirken.
 

Kommentar

Anmerkung
  1. Die Entscheidung trennt zwischen "Verpflichtungs-" und Verfügungsgeschäft”. Das ist richtig und wie folgt zu erklären: Das deutsche Recht trennt zwischen der Verpflichtung, Eigentum zu übertragen (das ist die "causa" = der Grund, warum man etwas macht), und der Realisierung der Verpflichtung, nämlich der Verfügung. Dies nennt man das Trennungsprinzip (Bayerle, JuS 2009, S. 1079). Das daneben stehende Abstraktionsprinzip besagt, dass ein Fehler bei dem einem Ges...

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