Detlef Burhoff, Annika Hirsch
Rdn 4265
1. Nach § 248 S. 1 dürfen vernommene Zeugen sich nicht eigenmächtig von der Gerichtsstelle, d.h. von dem Ort, an dem das Gericht tagt, entfernen. Sie benötigen dafür die Genehmigung des Vorsitzenden, der vorher StA und Angeklagten hören muss (§ 248 S. 2). Will ein Zeuge sich ohne Entlassung bzw. Genehmigung entfernen, kann er zwangsweise festgehalten werden; § 231 Abs. 1 S. 2 gilt entsprechend (LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 8.5.2024 – 12 Qs 1/24).
☆ Nach § 248 S. 1 gilt das auch für SV . Die nachstehenden Ausführungen gelten daher für SV entsprechend (zur Vernehmung des SV → Vernehmung Sachverständiger , Teil V Rdn 3819 ).auch für SV. Die nachstehenden Ausführungen gelten daher für SV entsprechend (zur Vernehmung des SV → Vernehmung Sachverständiger, Teil V Rdn 3819).
Rdn 4266
2. Die endgültige Entlassung von Zeugen (und SV) ist – im Gegensatz zu der nur vorübergehenden Beurlaubung – eine Maßnahme der → Verhandlungsleitung, Teil V Rdn 3502, des Vorsitzenden. Sie wird im Hinblick auf das → Fragerecht des Angeklagten, Teil F Rdn 1939, erst in Betracht kommen, wenn die Vernehmung des Zeugen abgeschlossen ist. Jedenfalls kann die Schließung des Dienstgebäudes nicht zum Anlass genommen werden, einen Zeugen vorzeitig zu entlassen und weitere Fragen von der Stellung von Beweisanträgen abhängig zu machen (BGH NStZ 2007, 281).
☆ Gegen die endgültige Entlassung kann nach § 238 Abs. 2 vorgegangen und ein Gerichtsbeschluss beantragt werden.§ 238 Abs. 2 vorgegangen und ein Gerichtsbeschluss beantragt werden.
Rdn 4267
3. Die Verletzung des § 248 kann der Verteidiger grds. mit der Revision geltend machen (KK/Diemer, § 248 Rn 4 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 248 Rn 4; BGH StV 1985, 355; OLG Stuttgart NStZ 1994, 600; str., s. LR-Becker, § 248 Rn 13). Das gilt jedenfalls dann, wenn durch die Entlassung ohne vorherige Anhörung des Angeklagten und seines Verteidigers deren Fragerecht nachweislich beeinträchtigt wurde und das Urteil hierauf beruhen kann (OLG Stuttgart NStZ 1994, 600; so offenbar auch BGH StV 1985, 355 [Verletzung von § 240]). Voraussetzung ist dann aber, dass ein Gerichtsbeschluss herbeigeführt worden ist.
☆ Die Verhandlung über die Entlassung ist i.Ü. wesentlicher Teil der HV, bei der auch der zuvor während der Vernehmung nach § 247 entfernte Angeklagte anwesend sein muss (→ Entfernung der Angeklagten aus der Hauptverhandlung , Teil E Rdn 1796 ).Angeklagte anwesend sein muss (→ Entfernung der Angeklagten aus der Hauptverhandlung, Teil E Rdn 1796).
Rdn 4268
4. Hinweise für den Verteidiger!
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Für seine Entscheidung, der Entlassung von Zeugen (oder SV) ggf. zuzustimmen, muss der Verteidiger folgende Umstände berücksichtigen: Der Verteidiger muss bedenken, dass mit der Entlassung sein Frage- und Erklärungsrecht erlischt, da dann die Vernehmung abgeschlossen ist. Eine erneute Vernehmung kann er später grds. nur mit einem Beweisantrag erreichen, der aus den Gründen des § 244 Abs. 3 abgelehnt werden kann. |
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Häufig wird es sich für den Verteidiger anbieten, der Entlassung eines Zeugen zunächst zu widersprechen, um noch einmal Rücksprache mit dem Mandanten zu halten, aus der sich noch ergänzende Fragen oder Vorhalte ergeben können. |
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Er muss auch berücksichtigen, ob dem zu entlassenden Zeugen ggf. später aus anderen Zeugenvernehmungen noch Vorhalte gemacht werden müssen. Dann sollte der Verteidiger sich der Möglichkeit einer ergänzenden Zeugenvernehmung nicht begeben und einer Entlassung (zunächst) ausdrücklich widersprechen (LR-Becker, § 248 Rn 13). Später kann er dann der endgültigen Entlassung des Zeugen immer noch zustimmen. |
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Die Entlassung von Zeugen wird der Verteidiger insbesondere auch dann hinauszögern, wenn er noch nicht absehen kann, ob er gegen die Verwertung ihrer Aussage nach der "Widerspruchslösung" Widerspruch einlegen muss (u.a. BGHSt 38, 214). Mit der Entlassung des Zeugen erlischt das sich aus § 257 ergebende → Erklärungsrecht des Verteidigers, Teil E Rdn 1869, innerhalb dessen zeitlichen Rahmen ein Widerspruch spätestens geltend zu machen ist. Stellt sich die Notwendigkeit eines Widerspruchs jedoch erst nach der Vernehmung weiterer Zeugen heraus, z.B. nach Vernehmung weiterer Polizeibeamter zum Zustandekommen eines Geständnisses, ist der zunächst vernommene Zeuge dann aber schon entlassen, kann der Verteidiger den Widerspruch nicht mehr erheben. Ist der Zeuge hingegen noch nicht entlassen, kann der Verteidiger im Rahmen seiner nach § 257 weiterhin zulässigen Erklärung noch Widerspruch gegen die Verwertung der Vernehmung erheben (→ Erklärungsrecht des Verteidigers, Teil E Rdn 1869; → Widerspruchslösung, Teil W Rdn 4114). |
☆ Hat der Verteidiger vorschnell der Entlassung eines Zeugen oder SV zugestimmt, kann er, wenn sich ggf. erst später die Notwendigkeit eines Widerspruchs herausstellt, diesen ggf. noch dadurch retten , dass er die erneute Vernehmung eines Zeugen oder SV, beantragt , um dann nach der erneuten Vernehmung den Widerspruch erklären zu können (→ Zeuge, Vernehmung , erneute Vernehmu...