1. Angemessene Ausbildung
Nach § 1610 Abs. 2 BGB hat jedes Kind seinen Eltern gegenüber einen Anspruch auf eine angemessene Ausbildung, die Begabungen, Fähigkeiten, Leistungswillen und Neigungen entspricht (zum Ausbildungsunterhalt s. Volker FuR 2015, 570). Geschuldet wird daher von den Eltern eine optimale, begabungsbezogene Berufsausbildung, d.h. eine Ausbildung, die der Begabung und den Fähigkeiten des Kindes, seinem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen am besten entspricht. Folglich kommt den beim Kind vorhandenen persönlichen Voraussetzungen maßgebliche Bedeutung zu (BGH FamRZ 2000, 420). Allein das Bestehen des Abiturs verpflichtet die Eltern nicht zwangsläufig dazu, ein Hochschulstudium zu finanzieren (BGH FamRZ 2000, 420, 422).
Hat sich das volljährige Kind in Abstimmung mit den Eltern für einen bestimmten Abschluss entschieden, so besteht die Unterhaltspflicht bis zum Regelabschluss fort (OVG Hamburg FamRZ 2006, 1615). Umgekehrt folgt daraus, dass in der Regel kein Anspruch gegen die Eltern auf Finanzierung einer Zweitausbildung oder nicht notwendigen Weiterbildung besteht, wenn das Kind eine Ausbildung erhalten hat, die den Begabungen und Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten, nicht nur vorübergehenden Neigungen des Kindes am besten entspricht und sich in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern hält (Sächsisches LSG, Urt. v. 18.7.2013 – L 3 AL 59/10).
Nach einem erfolgreichen Abschluss der gewählten Ausbildung kommt daher ein weiterer Anspruch gegen die Eltern allenfalls bei Erkrankung oder Behinderung mit Erwerbsminderung in Betracht (BGH FamRZ 1997, 281; s. unten III.).
Ausnahmen werden nur unter besonderen Umständen angenommen:
- wenn der Beruf etwa aus gesundheitlichen oder sonstigen, bei Ausbildungsbeginn nicht vorhersehbaren Gründen nicht ausgeübt werden kann oder
- wenn das Kind von den Eltern in einen seiner Begabung nicht hinreichend Rechnung tragenden Beruf gedrängt wurde (BGH, Beschl. v. 8.3.2017 – XII ZB 192/16) oder
- die Erstausbildung auf einer deutlichen Fehleinschätzung der Begabung beruht,
- wenn die weitere Ausbildung zweifelsfrei als eine bloße in engem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehende Weiterbildung zu dem bisherigen Ausbildungsweg anzusehen ist und von vornherein angestrebt war oder
- wenn während der ersten Ausbildung eine besondere, die Weiterbildung erfordernde Begabung deutlich wurde (Sächsisches LSG, Urt. v. 18.7.2013 – L 3 AL 59/10).
Besondere Probleme können in der Praxis daher auftreten, wenn das Kind
- einen einmal begonnenen Ausbildungsweg abbricht, um eine andere Ausbildung aufzunehmen (Ausbildungswechsel) oder
- wenn nach einer abgeschlossenen Ausbildung eine weitere Ausbildung aufgenommen wird (Zusatzausbildung, Zweitstudium).
2. Ausbildungswechsel
Jedem volljährigen Kind wird eine angemessene Orientierungsphase zugestanden. Eine Orientierungszeit soll dazu dienen, sich zunächst einmal darüber klar zu werden, welchen Ausbildungsweg der Jugendliche weiter einschlagen will und wo dies geschehen soll, bevor er sich anschließend um eine Umsetzung seiner gefassten Entschlüsse bemühen kann bzw. muss. Deren Dauer ist von Fall zu Fall unterschiedlich und richtet sich jeweils nach Alter, Entwicklungsstand und den gesamten Lebensumständen des Jugendlichen. So wird ein Studienwechsel innerhalb der ersten zwei bis drei Semester von der Rechtsprechung noch akzeptiert.
Ein Wechsel des Studienfachs oder der Ausbildung nach dem Ablauf der Orientierungsphase, der zu einer erheblichen Verlängerung der Ausbildungsdauer führt, muss dagegen unterhaltsrechtlich nur bei ausreichender Begründung hingenommen werden (BGH NJW 2001, 2170).
Praxishinweis:
Anwaltlicher Sachvortrag zu den Besonderheiten des Falls ist daher unverzichtbar. Denn je nach Lage des Einzelfalls kann auch bei einem Abbruch der Berufsausbildung nach Ablauf der Hälfte der Ausbildungszeit ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt für eine danach begonnene zweite Ausbildung gegeben sein (OLG Brandenburg NZFam 2014, 857).
3. Zweitausbildung
Dagegen kann das volljährige Kind nur in besonderen Ausnahmefällen von den Eltern die Finanzierung einer Zweitausbildung nach abgeschlossener Erstausbildung verlangen. Dies kann dann gegeben sein, wenn die Erstausbildung dem Kind aufgedrängt worden ist und nicht den wirklichen Neigungen und Begabungen des Kindes entsprochen hat.
Ursprünglich wurde eine solche Konstellation nur dann unterhaltsrechtlich akzeptiert, wenn das Studium von vornherein angestrebt war oder während der ersten Ausbildung eine besondere, diese Weiterbildung erfordernde Begabung deutlich wurde. Dagegen reicht es heute aus, dass der Studienentschluss erst nach Beendigung der Lehre gefasst wird. Denn vielfach ist sich der Abiturient bei Aufnahme der praktischen Ausbildung noch nicht über ein anschließendes Studium schlüssig (BGH, Beschl. v. 8.3.2017 – XII ZB 192/16).
Der BGH hat keine rechtlichen Bedenken, wenn die Frage, ob der Erstausbildung des Kindes eine Fehleinschätzung seiner Begabung zugrunde lag, nach den Verhältnissen beurteilt wird,...