Eine Kündigung ist nicht erforderlich, wenn sich das vertragliche Synallagma ohne den Ausspruch einer Kündigung herstellen lässt. Nach dem sog. ultima-ratio-Prinzip darf eine Kündigung erst als letzter Schritt in Betracht gezogen werden. Zu den die Kündigung bedingenden Tatsachen gehört deshalb das Fehlen angemessener, milderer Mittel zur Vermeidung künftiger Fehlzeiten.
Infolgedessen steht eine mögliche Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderem Arbeitsplatz, auf dem er trotz seiner Erkrankung arbeiten könnte, einer Kündigung entgegen. Dasselbe gilt für die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz unter zumutbaren Vorkehrungen. Als besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzip ist die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) gem. § 167 Abs. 2 SGB IX in Betracht zu ziehen.
Ist der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt, hat der Arbeitgeber nach § 167 Abs. 2 SGB IX mit dem Betriebsrat (bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung) mit Zustimmung und Beteiligung des betroffenen Arbeitnehmer (zunächst) aufzuklären, wie die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann.
Beachten Sie:
Das BEM ist bei einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers von länger als sechs Wochen innerhalb eines Jahres durchzuführen. Nicht erforderlich ist, dass die Krankheitstage an einem Stück angefallen sind. Es reicht vielmehr, wenn die Summe häufiger Kurzerkrankungen innerhalb eines Betrachtungszeitraums von 365 Tagen die sechs Wochen tatsächlich übersteigen.
Die Durchführung eines BEM nach § 167 Abs. 2 SGB IX vor Ausspruch einer Kündigung ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung einer krankheitsbedingten Kündigung (BAG, Urt. v. 13.5.2015 – 2 AZR 565/14, NZA 2015, 1249, Rn 28) Das BEM konkretisiert jedoch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Durch das BEM können mildere Mittel, wie z.B. die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen – ggf. durch Umsetzungen „freizumachenden” – Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden (BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 2 AZR 565/12, NZA 2014, 602, Rn 34). Führt der Arbeitgeber ein BEM durch, kann er im Kündigungsschutzprozess zur Begründung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung auch auf hieraus erlangte Erkenntnisse zurückgreifen.
Im Einzelnen gilt Folgendes: Wurden erfolgversprechende Maßnahmen festgehalten, sind diese zunächst umzusetzen (BAG, Urt. v. 10.12.2009 – 2 AZR 400/08, NZA 2010, 398, Rn 25).
Eine dennoch ohne Durchführung der Maßnahmen ausgesprochene Kündigung ist nur dann verhältnismäßig, wenn der Arbeitgeber darlegen und beweisen kann, dass die abgestimmten Maßnahmen nicht durchführbar sind bzw. in keinem Fall zu einer Verbesserung der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geführt hätten, sog. objektive Nutzlosigkeit des BEM (BAG, Urt. v. 21.11.2018 – 7 AZR 394/17, NZA 2019, 309, Rn 38). In der Praxis dürfte dem Arbeitgeber die Darlegung der Nutzlosigkeit regelmäßig schwerfallen. Denn dazu muss er umfassend und detailliert vortragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen sind und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden konnte, warum also ein BEM im keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (vgl. BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612, Rn 39; BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 2 AZR 565/12, NZA 2014, 602, Rn 34). Ist es dagegen denkbar, dass ein BEM ein positives Ergebnis erbringt, das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau der Fehlzeiten also Erfolg hat, muss sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe „vorschnell” gekündigt (BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612, Rn 40).
Sofern das BEM fehlgeschlagen ist, kann sich der Arbeitgeber vor Gericht auf die Durchführung und das Ergebnis berufen. Der Arbeitnehmer wird dagegen mit seinem möglichen Vortrag weiterer Beschäftigungsmöglichkeiten nicht mehr gehört, weil er diese bereits während des BEM hätte vorbringen müssen (BAG, Urt. v. 10.12.2009 – 2 AZR 400/08, NZA 2010, 398).
Hat der Arbeitgeber zum BEM eingeladen und der betroffene Arbeitnehmer die Durchführung abgelehnt, ist die fehlende Durchführung kündigungsneutral (vgl. BAG, Urt. v. 13.5.2015 – 2 AZR 565/14, NZA 2014, 602; BAG, Urt. v. 24.3.2011 – 2 AZR 170/10, NZA 2011, 993, Rn 23).
Hinweis:
Arbeitgeber sollten bei krankheitsbedingten Fehlzeiten stets die Durchführung des BEM im Blick halten. Dieses ist gut vorzubereiten und anhand der aktuellen Rechtsprechung sorgsam durchzuführen, um nicht die Unwirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung zu ...