Die Parteien streiten über die Abgeltung von Urlaubsansprüchen der Jahre 2015 bis 2017. Der klagende Arbeitnehmer war seit dem 18.11.2015 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.12.2019 krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Er begehrt von der beklagten Arbeitgeberin Urlaubsabgeltung für den Resturlaub der Jahre 2015 bis 2017. Unstreitig hat die Beklagte den Kläger während des gesamten Zeitraums weder aufgefordert, den Urlaub zu nehmen, noch darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfallen kann. Die Klage hatte für die Jahre 2016 und 2017 in allen drei Instanzen keinen Erfolg (BAG, Urt. v. 7.9.2021 – 9 AZR 2/21 (A), NZA 2022, 107; LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 17.11.2020 – 8 Sa 182/20), für das Jahr 2015 hat das BAG das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH analog § 148 ZPO ausgesetzt.
Der Neunte Senat hat nun erstmalig über die umstrittene Frage der Mitwirkungsobliegenheit bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit während des gesamten Urlaubsjahres und des folgenden 15-monatigen unionsrechtlichen Übertragungszeitraums entschieden (BAG, Urt. v. 7.9.2021 – 9 AZR 3/21 (A)). Der Senat wiederholt zunächst die st. Rspr.: Die Mitwirkungsobliegenheit gelte auch bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, mit der Folge, dass der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer konkret und in völliger Transparenz über den Verfall des Urlaubsanspruchs bei nicht rechtzeitiger Realisierung aufzuklären habe, will er sich auf die Befristung und den Verfall des Urlaubusanspruchs berufen. Anders sei es jedoch, wenn es objektiv unmöglich ist, den Arbeitnehmer durch Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage zu versetzen, seinen Urlaubsanspruch zu realisieren. Dann verfalle der Urlaub 15 Monate nach Beendigung des Urlaubsjahres. Ist der Arbeitnehmer über das komplette Urlaubsjahr erkrankt und dauert die arbeitsunfähige Erkrankung bis zum Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres an, so ist – so der Senat – nicht die unterlassene Mitwirkung des Arbeitgebers kausal für den Verfall des Urlaubsanspruchs, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers.
Hinweise:
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Das BAG bestätigt erneut seine Rechtsprechung (BAG, Urt. v. 19.3.2019 – 9 AZR 881/16, NZA 2019, 1046; BAG, Urt. v. 19.3.2019 – 9 AZR 495/17, ZAT 2019, 133, m. Anm. Gundel), dass Lohnabrechnungen kein Schuldanerkenntnis darstellen und keine rechtsverbindliche Aussage über den Bestand und die Höhe des Urlaubsanspruchs beinhalten, wenn nicht besondere Anhaltspunkte vorliegen. Abrechnungen haben allein den Zweck einer bloße Wissenserklärung, nicht einer Willenserklärung. Im Arbeitnehmermandat ist vielmehr die Entstehung vorzutragen und im Streitfall zu beweisen, im Arbeitgebermandat muss dann die Erfüllung des Urlaubsanspruchs dargelegt und bewiesen werden (zutreffend differenzierend zur Erklärungsbedeutung einer Lohnabrechnung bei Beurteilung der Frage, ob eine Kürzungserklärung des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG vorliegt: LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 16.9.2021 – 4 Sa 62/20, juris. |
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Klar ist nun, dass der Urlaubsanspruch auch im Fall der im Urlaubsjahr beginnenden und über die 15-Monatsfrist bis zum Ablauf des 31. März des übernächsten Folgejahres andauernden Arbeitsunfähigkeit erlischt. Konkret: Urlaubsansprüche der Jahre 2016 und 2017 sind deshalb erloschen, die Klage abzuweisen. |
3. |
Für das Jahr 2015 wurde der Rechtsstreit ausgesetzt (§ 148 ZPO analog). Die streitentscheidende Frage für das Jahr 2015 lautet: Gestattet das Unionsrecht das Erlöschen des Urlaubsanspruchs bei einer ununterbrochen fortbestehenden Erkrankung des Arbeitnehmers 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahrs oder einer längeren Frist, wenn der Arbeitgeber im Urlaubsjahr seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat, obwohl der Arbeitnehmer den Urlaub bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zumindest teilweise hätte nehmen können. Diese Frage ist bereits beim EuGH anhängig (Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV: BAG, Beschl. v. 7.7.2020 – 9 AZR 401/19 (A), NZA 2020, 1541). |