Für den Bereich der Anwaltshaftung ist beim BGH der IX. Zivilsenat zuständig. Daneben haben im abgelaufenen Jahr aber auch eine Reihe anderer Senate einschlägige Entscheidungen veröffentlicht (speziell zur Entwicklung des Anwaltshaftungsrechts von Mitte 2019 bis Mitte 2020 Borgmann NJW 2020, 3564 ff.).
1. Keine Pflicht zur Nutzung des beA zwecks Fristwahrung
Ab dem 1.1.2022 muss bundesweit jegliche Korrespondenz von Anwälten mit Gerichten über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) geführt werden. Ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die aktive Nutzungspflicht weiter zurückzustellen (BT-Drucks 19/23153), fand am 27.11.2020 im Bundestag keine Mehrheit. Einstweilen höchstrichterlich ungeklärt bleibt, ob ein Anwalt, der sich für den Versand eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax entschieden hat, bei technischen Problemen kurz vor Fristablauf einen Übermittlungsversuch über das beA unternehmen muss. Das OLG Dresden hatte dies Ende 2019 bejaht (Beschl. v. 18.11.2019 – 4 U 2188/19, ZAP EN-Nr. 88/2020; anders bereits LG Mannheim, Beschl. v. 17.1.2020 – 1 S 71/19 m. zust. Anm. Siegmund NJW 2020, 942). Der X. Zivilsenat (Beschl. v. 28.4.2020 – X ZR 60/19, ZAP EN-Nr. 331/2020) entschied nunmehr, dass jedenfalls ein Patentanwalt schon deshalb nicht zum Ausweichen auf das beA verpflichtet sei, da ein solches Postfach gem. § 31a Abs. 1 S. 1 BRAO nur für im elektronischen Anwaltsverzeichnis eingetragene Rechtsanwälte (und nicht für Patentanwälte) eingerichtet werde (zu Haftungsfallen rund um das beA Günther NJW 2020, 1785 ff.). Einen Anwalt um die Nutzung von dessen beA zu bitten, sei dem Patentanwalt zumindest bei einem Scheitern der Faxübertragung kurz vor Fristablauf nicht mehr zuzumuten. Aber auch mit Blick auf Rechtsanwälte äußert sich der BGH, wenn es um eine Obliegenheit zum Ausweichen auf das beA geht, unter Verweis auf eine relativ hohe Zahl von Störungsmeldungen dieses Systems skeptisch. Überraschend deutlich meldet der Senat Zweifel daran an, dass das beA in seiner derzeitigen Form eine höhere Gewähr für eine erfolgreiche Übermittlung kurz vor Fristablauf biete als ein Telefax-Dienst.
2. Hinweispflichten auf steuerrechtlichen Beratungsbedarf
Umfang und Inhalt der vertraglichen Pflichten eines Anwalts richten sich nach dem jeweiligen Mandat und den Umständen des einzelnen Falls. Dabei gilt, dass das einem Allgemeinanwalt erteilte Mandat grds. nicht die Beratung und Belehrung in Steuersachen umfasst, weil Mandanten zwischen einer anwaltlichen Beratung in Steuersachen und auf anderen Rechtsgebieten unterscheiden. Allerdings müssen – wie der IX. Zivilsenat nunmehr klargestellt hat (Urt. v. 9.1.2020 – IX ZR 61/19 m. Anm. Burschel NZFam 2020, 212 f.; Meixner/Schröder DStR 2020, 894 ff.) – bei ordnungsgemäßer Bearbeitung eines familienrechtlichen Mandats typischerweise auftretende steuerlich bedeutsame Fragestellungen erkannt und, wenn die Beratung nicht selbst übernommen wird, der Mandant insoweit zur Klärung an einen Steuerberater verwiesen werden. Dies gelte bei der Beratung zu einer Scheidungsfolgenvereinbarung auch im Hinblick auf die bei der Übertragung eines Mietshauses in diesem Rahmen auftretenden nachteiligen steuerlichen Auswirkungen. Nachdem der IX. Senat erst 2018 in einer wenig überzeugenden Entscheidung die Auffassung vertreten hatte, dass den sozialrechtlich mandatierten Rechtsanwalt keine Hinweispflicht hinsichtlich eines tarifvertraglich geregelten Erfordernisses eines schriftlichen Weiterbeschäftigungsantrags trifft (BGH, Urt. v. 21.6.2018 – IX ZR 80/17 m. krit. Anm. Markworth NJW 2018, 2478), erweitert er mit dem nun ergangenen Urteil die Aufklärungs- und Hinweispflichten von Anwälten überzeugend wieder etwas. All dies muss aber nicht zwingend heißen, dass der Mandant bei einem unterlassenen Hinweis auf Steuerthemen in jedem Fall Schadensersatz verlangen kann. Hierfür müsse, so der IX. Senat weiter, ein Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden bestehen. Behaupte der Mandant, dass er im Falle sachgerechter Aufklärung durch den Berater auf eine bestimmte, den Schadenseintritt verhindernde Weise reagiert hätte – also etwa ein anderes Mietshaus übertragen hätte –, ist für die behauptete Vorgehensweise aber notwendigerweise die Bereitschaft Dritter erforderlich, den beabsichtigten Weg mitzugehen, müsse der Mandant dessen Bereitschaft hierzu im damaligen maßgeblichen Zeitpunkt darlegen und beweisen. So hätte die schadensvermeidende Übertragung eines anderen Mietshauses im entschiedenen Fall insb. noch die Bereitschaft des anderen Ehegatten zu dessen Übernahme vorausgesetzt.
3. Anwaltsvertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter
Der IX. Zivilsenat (Urt. v. 9.7.2020 – IX ZR 289/19 m. Anm. Klose NJ 2020, 496 f.) hatte sich mit der Frage zu befassen, inwiefern ein Rechtsanwalt, wenn er eine Verkehrsunfallgeschädigte vertritt, auch über mögliche Ansprüche seiner Mandantin familiär verbundener weiterer Geschädigter desselben Unfalls aufklären muss. Der BGH hat dies zutreffend verneint. Insbesondere entfalte der Anwaltsvertrag keine Schutzwirkung im Hinblick auf die Drittgeschädigten, da es bereits an dem erford...