Der Bayerische Anwaltsgerichtshof möchte vom Europäischen Gerichtshof geklärt haben, ob das sog. Fremdbesitzverbot im anwaltlichen Berufsrecht gegen höherrangiges europäisches Recht verstößt. Zu diesem Zweck hat der AGH den Luxemburger Richtern im April ein entsprechendes Vorabentscheidungsgesuch vorgelegt (AGH München, Entsch. v. 20.4.2023 – BayAGH III-4-20/21). Nach dem deutschen Fremdbesitzverbot dürfen Personen, die nicht der Anwaltschaft oder einem sozietätsfähigen Beruf angehören, nicht Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft sein. Diese berufsrechtliche Bestimmung ist seit Langem politisch umstritten und wird u.a. von Legal-Tech-Anbietern kritisiert. Im Zusammenhang mit der „großen BRAO-Reform” im Jahr 2022 wurde über die Einschränkung des Verbots diskutiert, es wurde letztlich aber beibehalten und lediglich der Kreis der sozietätsfähigen Berufe deutlich erweitert.
Hintergrund der Vorlage an den EuGH war ein Fall, in dem die örtliche Rechtsanwaltskammer einer Rechtsanwalts-UG die Zulassung entzogen hatte, weil eine österreichische GmbH, die selbst nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen war, eine Mehrheit der Geschäftsanteile an der UG übernommen hatte. Die Kammer begründete den Zulassungswiderruf mit der seinerzeit geltenden Fassung des § 59e BRAO, die festlegte, dass nur Rechtsanwälte und Angehörige sozietätsfähiger Berufe Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft sein dürfen, die in der Gesellschaft beruflich tätig sind, ferner dass Gesellschaftsanteile nicht für Rechnung Dritter gehalten und Dritte nicht am Gewinn der Rechtsanwaltsgesellschaft beteiligt werden dürfen. Die GmbH komme, so die Anwaltskammer, folglich nicht als Gesellschafterin in Betracht.
Gegen den Widerruf der Zulassung klagte die UG. Sie sieht sich durch den Widerruf der Zulassung in ihren Rechten verletzt und beruft sich hierfür auf höherrangiges EU-Recht, u.a. das Recht auf Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1 AEUV), die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) sowie auf Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie.
Der AGH München führt in seiner Vorlage an den EuGH zunächst aus, dass nach dem einschlägigen deutschen Recht der Klägerin zwingend die Zulassung zu entziehen war. Allerdings sehen die Berufsrichter durch eben diese berufsrechtlichen Vorgaben zugleich die europarechtlichen Garantien der Kapitalverkehrsfreiheit und der Dienstleistungsrichtlinie zumindest eingeschränkt. Dies gelte auch im Lichte der durch die große BRAO-Reform von 2022 eingetretenen Lockerungen, etwa hinsichtlich des Kreises der zulässigen Gesellschafter von Rechtsanwaltsgesellschaften. Für den AGH war das Verfahren daher auszusetzen, bis diese Fragen aus Luxemburg geklärt worden sind. Berufsrechtsexperten erwarten, dass die Antworten der Europarichter auf die gestellten Vorlagefragen erhebliche Auswirkungen auf das anwaltliche Berufsrecht in Deutschland haben könnten.
[Quelle: AGH München]