Obwohl das bauliche Vorhaben den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspricht, kann es dennoch zulässig sein. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Bauaufsichtsbehörde eine Ausnahme (§ 31 Abs. 1 BauGB) oder eine Befreiung (§ 31 Abs. 2 BauGB) ausspricht. Mit § 31 BauGB hat der Gesetzgeber der Bauaufsichtsbehörde ein Werkzeug an die Hand gegeben, mit dem sie eine im Einzelfall angezeigte Lösung erreichen kann, die der Bebauungsplan aufgrund seiner Generalität nicht ermöglicht.
a) Ausnahme
Nach § 31 Abs. 1 BauGB können von den Festsetzungen des Bebauungsplans solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind. Eine Ausnahme muss damit ausdrücklich im Bebauungsplan vorgesehen sein. Entweder handelt es sich dabei um die Ausnahmen in Absatz 3 der §§ 2 bis 11 BauNVO, die einschlägig sind, indem ein einschlägiges Baugebiet festgesetzt wird, oder um zusätzliche Entscheidungen des Bebauungsplanerstellers, der bspw. eine eigentliche Regelbebauung im festgesetzten Baugebiet zur Ausnahme bestimmt.
Hinweis:
Ob ein ausdrücklicher Antrag auf Erteilung einer Ausnahme zu stellen ist, wird nicht in allen Bundesländern gleich beantwortet: ausdrückliche Regelungen, die einen Antrag voraussetzen, finden sich bspw. in Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen – anders: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 6.10.2015 – 3 S 1695/15, juris Rn 19: „Eines hierauf gerichteten Antrags des Bauherrn bedarf es nicht.”
Die Ausnahmeentscheidung steht im Ermessen der Behörde. Dies führt dazu, dass sich der gebundene Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung des Bauherrn in einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung wandelt. Überwiegend geht die Rechtsprechung davon aus, dass der Ermessensspielraum der Behörde, eine Ausnahme bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen nicht zu erteilen, sehr gering ist. Lediglich städtebauliche Gründe können der Ausnahmeerteilung entgegengehalten werden.
b) Befreiung/Dispens
In Abgrenzung zur Ausnahme durchbricht eine Befreiung die Festsetzungen des Bebauungsplans. Damit geht die Gefahr einher, dass in den Fällen, in denen die Bauaufsichtsbehörde nicht mit der bebauungsplangebenden Gemeinde identisch ist, durch eine zu großzügige Befreiungspraxis im Baugenehmigungsverfahren den Planungswillen der Gemeinde unterlaufen könnte. Die Befreiung in § 31 Abs. 2 BauGB setzt deshalb zunächst tatbestandlich voraus, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden.
Hinweis:
Zudem sieht § 36 Abs. 1 BauGB vor, dass eine Befreiungsentscheidung im Einvernehmen mit der Gemeinde getroffen wird.
Zusätzlich muss einer der drei Befreiungstatbestände erfüllt sein: Gründe des Wohls der Allgemeinheit müssen die Befreiung erfordern (§ 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB), eine Abweichung ist städtebaulich vertretbar (§ 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB) oder die Durchführung des Bebauungsplans würde zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen (§ 31 Abs. 2 Nr. 3 BauGB). Zuletzt muss eine Befreiung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein. Auf Rechtsfolgenseite steht die Befreiung zwar im Ermessen der Behörde; dieses ist jedoch aufgrund der engen Tatbestandsvoraussetzungen sowie der Eigentumsgarantie auf Null reduziert.
Seit Juni 2021 findet sich in § 31 Abs. 3 BauGB eine spezielle Befreiungsmöglichkeit für Wohnungsbauvorhaben in Gebieten, in denen nach § 201a BauGB ein angespannter Wohnungsmarkt festgestellt worden ist.