Während ich meine Zeilen an Sie, liebe Leserinnen und Leser, im vergangenen Jahr noch unter der Überschrift „Was bleibt, ist Hoffnung” begann, mag der diesjährige Titel noch ein wenig nüchterner – und vielleicht sogar resignierter – klingen. Resignation ist indes nichts, was ich mir auf die Fahnen schreibe. Ganz im Gegenteil. Gleichwohl bieten der Rückblick auf das Jahr 2022 wie auch der Ausblick auf 2023 hinreichenden Anlass, der eigenen positiven Erwartungshaltung eine gehörige Portion Realitätssinn beizumengen. Oder anders formuliert: Auch für 2023 sollten wir unbedingt den Beipackzettel studieren, um uns auf drohende Risiken und Nebenwirkungen einstellen zu können!
Der Rückblick auf das Jahr 2022 offenbart mehr als einen harten Schlag, den wir alle zu verkraften hatten. COVID-19 (oder SARS-CoV-2) hat uns auch zwei Jahre nach dem ersten Lockdown weiter in der Anwaltspraxis begleitet und wurde indes von weiteren schrecklichen Ereignissen überschattet: dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Ukraine. Was für mich unvorstellbar war, ist eingetreten und wird uns auch ins neue Jahr begleiten. Die Situation, der sich die Menschen in der Ukraine – und damit unzählige Kolleginnen und Kollegen – ausgesetzt sahen und sehen, hat mich tief bewegt. Doch wo Schatten ist, ist auch Licht: Das Engagement innerhalb der deutschen Anwaltschaft darf als beispiellos bezeichnet werden. Nicht nur die Rechtsanwaltskammern, sondern auch viele Kolleginnen und Kolleginnen haben ihren Solidaritätsbekundungen handfeste Taten folgen lassen, sei es über Geld- und Sachspenden oder mit Zurverfügungstellung von Wohnraum. Dafür bin ich zutiefst dankbar. Unsere Hilfe wird im Übrigen auch weiterhin dringend benötigt. Wer das neue Jahr also gerne mit einer guten Tat beginnen möchte, findet unter https://www.brak.de/ukraine/ Informationen zu Spendenmöglichkeiten. Die ukrainische Anwaltskammer bittet noch immer um Unterstützung für betroffene Kolleginnen und Kollegen.
Eine Nebenwirkung von 2022 werden wir wohl ebenfalls im neuen Jahr nicht ganz los: Die bankseitig massenhaft ausgesprochenen Kündigungen von Sammelanderkonten, die uns seit Beginn des letzten Jahres massiv beschäftigen und viele Kolleginnen und Kollegen in Bedrängnis gebracht, zumindest aber verunsichert haben. Zum Glück hat die Satzungsversammlung mittlerweile mehrfach reagiert: Sie hat zum einen in § 4 Abs. 1 BORA klargestellt, dass Sammelanderkonten nicht generell „auf Vorrat” unterhalten werden müssen, sodass erste Rechtssicherheit hergestellt werden konnte. Zum anderen hat sie § 4 gerade im Dezember nochmals angepasst. Sobald der neue § 4 BORA in 2023 in Kraft trifft, müssten Anwältinnen und Anwälte künftig sicherstellen, dass keine Transaktionen über Sammelanderkonten abgewickelt werden, bei denen Risiken der Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung bestehen. Bestimmte – einzelne – Geldflüsse dürfen nach der Änderung künftig grds. nicht mehr über Sammelanderkonten laufen, z.B. solche aus Immobilientransaktionen und Unternehmenskäufen oder größere Bargeschäfte und Überweisungen von oder auf Konten in Hochrisikoländern. Damit wird hoffentlich auch dieses – leidige – Thema endlich erledigt sein. Denn wenn die Anwaltschaft diese Vorgaben erfüllt, sollte in keiner Hinsicht mehr ein erhöhtes Risiko angenommen werden können und sich der Prüfaufwand für Banken in Grenzen halten.
Vollständig erledigt ist das Problem damit jedoch noch nicht. Wir werden daher weitere Gespräche führen, um zu einer zufriedenstellenden Lösung zu gelangen. Die Anwaltschaft ihrerseits hat damit allerdings alles getan, um Vorverurteilungen – die uns immer wieder begegnen, so zuletzt beim Gesetzentwurf zur Beschleunigung von Asylverfahren – entgegenzutreten. Jetzt ist der Gesetzgeber am Zuge. Und diesen werden wir mehr als genau beobachten.
Gleiches gilt übrigens für die Themen Digitalisierung und RVG. Digitalisierung ist ein wichtiger Teil des Rechtsstaates und hat dementsprechend Eingang in den Pakt für den Rechtsstaat gefunden. Wichtig ist nun für das kommende Jahr – und die nachfolgenden Jahre – alle Länder gleichermaßen einzubeziehen und bei wichtigen Digitalisierungsfortschritten auf den gleichen Stand zu bringen und zu halten. Insofern bietet sich eine bundeseinheitliche Vorgabe für die IT-Standards und Schnittstellen zur Sicherstellung der Interoperabilität unterschiedlicher Systeme an. Es scheint wenig zielführend, digitale Projekte in der Erprobungsphase zur Angelegenheit einzelner Länder zu machen. Dies hätte nur zur Folge, dass sich Projekte überschneiden und ggf. unterschiedlich entwickeln. Es muss gelten: Einer für alle und alle für einen!
Was die nächsten Jahre hoffentlich mit sich bringen werden: Eine neue RVG-Anpassung! Kolleginnen und Kollegen sind dringend auf eine substanzielle lineare Anpassung angewiesen, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Die letzte Anpassung war doch nur ein sehr kleiner und längst überfälliger Schritt. Und bereits im Zuge dieser Anpassung hat die BRAK betont, dass ...