Und noch ein Fall einer fehlerhaften Fortführungsprognose: Das Start-up aus dem Bereich der Erneuerbaren Energien wurde 2011 als AG gegründet. Der Gründer und Allein-Vorstand hielt rund 59 % der Aktien. Das Kapital der AG betrug 240.964 EUR. Das Start-up-Projekt bestand ausschließlich in der Errichtung eines Solarkraftwerks im Ausland. Der Vertragspartner des ausländischen Energieversorgungsunternehmens war die schweizerische B-AG, deren Anteile durch die C-GmbH zu 100 % gehalten wurden. Die C-GmbH wiederum gehörte zu 100 % der Start-up-AG. Die Vertragsverhandlungen zum Solarkraftwerk waren weit fortgeschritten, als das Projekt 2014 wegen politischer Umwälzungen durch einen Bürgerkrieg stockte. Die Verluste der Start-up-AG beliefen sich für 2012 auf 332.000 EUR, für 2013 auf 22.500 EUR und für 2014 auf 271.000 EUR. Der Geschäftsbetrieb wurde 2014 erheblich eingeschränkt, alle Mitarbeiter wurden entlassen, die Anmietung von Geschäftsräumen wurde beendet. Kosten beliefen sich danach nur noch i.H.v. 4.000 EUR pro Jahr, die sich noch einmal auf 2.000 EUR pro Jahr durch die geplante Übernahme der Buchhaltung durch den Vorstand reduziert hätten. 2015 nahm dieser Abbuchungen vom Geschäftskonto des Start-ups i.H.v. ca. 22.000 EUR vor.
2016 wurde Insolvenzverfahren über die AG eröffnet. Der Insolvenzverwalter verkaufte zunächst die C-GmbH für 2.000 EUR und wollte außerdem die 2015 vorgenommenen Zahlungen von 22.000 EUR vom Vorstand zurück: Die Start-up-AG sei schon am Jahresende 2014 überschuldet gewesen. Die Beteiligungen an der C-GmbH bzw. der B-AG seien da schon wertlos gewesen, ebenso die Aufwendungen für das Solarkraftwerk.
Der Vorstand verteidigte sich mit dem Versuch einer positiven Fortführungsprognose: Die Aufwendungen für das Solarkraftwerk seien nicht nutzlos gewesen, da es berechtigte Hoffnungen gab, dass das Projekt fortgesetzt werden könnte. Dafür habe er entsprechende Kontakte zum Auswärtigen Amt bzw. zur deutschen Botschaft im Projektland unterhalten. Auch hätte es 2015 noch zwei Kaufinteressenten gegeben, die für 51 % 870.000 EUR bzw. 1,2 Mio. EUR für alle Anteile geboten hätten. Der Vorstand argumentierte, er habe hier einen unternehmerischen Ermessenspielraum ausnützen dürfen. Angesichts des eingeschränkten Geschäftsbetriebs mit den geringen Kosten sei keine konkrete Liquiditätsplanung erforderlich gewesen.
Das OLG Schleswig-Holstein (Urt. v. 12.5.2021 – 9 U 72/20) überzeugte das nicht. Es geht davon aus, dass eine Überschuldung der AG bereits zum 31.12.2014 gegeben war, und verneint eine positive Fortführungsprognose zu diesem Zeitpunkt. Zum einen bestand es trotz des eingeschränkten Geschäftsbetriebs auf einer aussagekräftigen Finanzplanung. Ausnahmen kämen nur infrage, wenn Investoren ernsthaftes Interesse zeigten oder das Unternehmen ein erfolgversprechendes Produkt mit entsprechenden Gewinnchancen entwickelt habe. Einseitige Sanierungsbemühungen oder selbst erstellte Sanierungskonzepte reichten für eine positive Fortführungsprognose nicht aus. Die bloße Hoffnung, dass das Projekt weiterbetrieben werden könne, genügte erst recht nicht. Der maßgebliche Zeitpunkt für die positive Fortführungsprognose sei der 31.12.2014 gewesen. Zu diesem Zeitpunkt gab es keine Anzeichen für ein Ende des Bürgerkriegs. Auch eventuelle Kaufinteressenten waren zu der Zeit nicht in Sicht, die im Übrigen angesichts der drohenden Insolvenz 2015 vom Kauf Abstand genommen hatten. Auch das spreche gegen eine positive Fortführungsprognose. Des Weiteren genügten die rigorosen Sparmaßnahmen des Vorstands nicht, um eine positive Fortführungsprognose zu begründen. Da diese Umstände dem Vorstand Ende 2014 bekannt waren, bestätigte das OLG den Anspruch des Insolvenzverwalters.
Hinweis:
Der BGH (Urt. v. 13.7.2021 – II ZR 84/20, ZAP EN-Nr. 105/2022) schränkt die Tauglichkeit einer „weichen” Patronatserklärung weiter ein als das OLG Düsseldorf und gestattet ihre Berücksichtigung für eine positive Fortführungsprognose nur im absoluten Ausnahmefall. Start-up-Unternehmer tun also gut daran, auch in der Krise über belastbare Finanzierungszusagen bzw. Sanierungskonzepte zu verfügen.