Bei Vorliegen einer schuldhaften Berufspflichtverletzung und bei nur geringem Schuldvorwurf nach § 74 Abs. 1 S. 1 BRAO, sodass die Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens nicht erforderlich ist, kann die Rechtsanwaltskammer gegen den betreffenden Rechtsanwalt eine Rüge erteilen. Das Rügeverfahren gliedert sich in drei Verfahrensabschnitte: Ein Aufsichtsverfahren (§ 56 BRAO), ein Einspruchsverfahren (§ 74 Abs. 5 BRAO) und ein anwaltsgerichtliches Antragsverfahren (§ 74a BRAO, Weyland/Weyland, 11. Aufl. 2024, § 74 BRAO Rn 20).
a) Aufsichtsverfahren
Liegen tatsächliche Anhaltspunkte für einen berufsrechtlichen Verstoß vor, wobei irrelevant ist, wie der Rechtsanwaltskammer diese Umstände zur Kenntnis gebracht wurden, leitet der Kammervorstand ein Aufsichtsverfahren ein, wobei der Rechtsanwalt zunächst anzuhören ist, § 74 Abs. 3 BRAO. Der angehörte Rechtsanwalt ist sodann nach § 56 Abs. 1 BRAO verpflichtet, im Rahmen seiner Verschwiegenheitsverpflichtung Angaben zu machen, wobei er sich auf ein bestehendes Auskunftsverweigerungsrecht ausdrücklich berufen muss (Peitscher, Anwaltsrecht, 3. Aufl. 2021, § 34 Rn 807). Der Rechtsanwaltskammer steht als Mittel zur Erzwingung von Angaben die Auferlegung von Zwangsmitteln zur Verfügung, § 57 BRAO. Den Abschluss des Aufsichtsverfahren stellt die Zustellung eines begründeten Rügebeschlusses dar, wobei die Generalstaatsanwaltschaft eine Abschrift erhält, §§ 74 Abs. 4 S. 1, S. 2, S. 3 BRAO. Wurde das Aufsichtsverfahren durch einen konkreten Beschwerdeführer in Gang gesetzt, wird diesem nach Verfahrensabschluss die Entscheidung der Rechtsanwaltskammer mit einer Darstellung der wesentlichen Gründe bekannt gegeben, § 73 Abs. 3 BRAO.
b) Einspruchsverfahren
Im Rahmen des Einspruchsverfahrens kann der betroffene Rechtsanwalt binnen eines Monats nach Zustellung Einspruch beim Vorstand der Rechtsanwaltskammer erheben, § 74 Abs. 5 S. 1 BRAO. Der Vorstand entscheidet sodann über den Einspruch, wobei sowohl bei einem Abhilfebescheid als auch bei einem zurückweisenden Bescheid ein begründeter Einspruchsbescheid an den Rechtsanwalt zuzustellen ist, §§ 74 Abs. 5 S. 2, 74 Abs. 4 BRAO.
c) Antrag auf anwaltsgerichtliche Entscheidung
Gegen einen zurückweisenden Einspruchsbescheid kann der Rechtsanwalt gem. § 74a Abs. 1 BRAO binnen Monatsfrist nach Zustellung die Entscheidung des Anwaltsgerichts beantragen, wobei das Anwaltsgericht zuständig ist, das am Sitz der rügenden Rechtsanwaltskammer belegen ist, § 74 Abs. 1 S. 2 BRAO. Für das weitere Verfahren gelten nach § 74a Abs. 2 S. 2 BRAO die StPO-Vorschriften der Beschwerde (§§ 304 ff. StPO). Eine mündliche Verhandlung findet nur dann statt, wenn das Gericht dies für erforderlich hält oder der Beschwerdeführer dies ausdrücklich beantragt, § 74a Abs. 2 S. 5 BRAO. Am Schluss steht eine Entscheidung des Anwaltsgerichts durch Beschluss, der unanfechtbar ist, § 74a Abs. 3 S. 3, S. 4 BRAO. Entscheidet die Generalstaatsanwaltschaft während des Verfahrens, wegen des gerügten Verstoßes ein anwaltsgerichtliches Verfahren einzuleiten, wird das Rügeverfahren bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss ausgesetzt, § 74a Abs. 5 BRAO.