Eine Erhöhung der Pfändungsfreigrenze zugunsten des Schuldners kommt nach § 850f Abs. 1 ZPO bei besonderen persönlichen oder beruflichen Bedürfnissen in Betracht, oder dann, wenn durch die Pfändung sein sozialhilferechtliches Existenzminimum gefährdet ist.
Zitat
§ 850f Änderung des unpfändbaren Betrages
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Das Vollstreckungsgericht kann dem Schuldner auf Antrag von dem nach den Bestimmungen der §§ 850c, 850d und 850i pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens einen Teil belassen, wenn
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der Schuldner nachweist, dass bei Anwendung der Pfändungsfreigrenzen entsprechend der Anlage zu diesem Gesetz (zu § 850c) der notwendige Lebensunterhalt im Sinne des Dritten, Vierten und Elften Kapitels des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch oder nach Kapitel 3 Abschnitt 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für sich und für die Personen, denen er Unterhalt zu gewähren hat, nicht gedeckt ist, |
b) |
besondere Bedürfnisse des Schuldners aus persönlichen oder beruflichen Gründen (...) |
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dies erfordern und überwiegende Belange des Gläubigers nicht entgegenstehen.
a) Besondere persönliche Bedürfnisse des Schuldners
Besondere persönliche Bedürfnisse sind insbesondere Aufwendungen wegen Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder Diätverpflegung (LG Essen, Beschl. v. 4.4.1990 – 11 T 221/90, Rpfleger 1990, 470). Es handelt sich um Aufwendungen, die vom "normalen" pfändungsfreien Einkommen nicht gedeckt und daher außergewöhnlich sind. Dies sind neuerdings vermehrt Kosten für die häusliche Pflege oder die Unterbringung in Pflegeheimen (Stöber, a.a.O., Rn 1177).
Anerkannt wurden dagegen Kosten, die der Schuldner aufgrund eines mit der Versicherung vereinbarten Selbstbehalts zu tragen hat (LG Düsseldorf, Beschl. v. 10.11.2005 – 25 T 635/05, JurBüro 2006, 156 f.).
b) Besondere berufliche Bedürfnisse des Schuldners
Als besondere berufliche Bedürfnisse werden oft Fahrtkosten für besonders weite Entfernungen zum Arbeitsplatz geltend gemacht. Auch hier gilt, dass diese nur dann zu berücksichtigen sind, soweit sie nicht schon mit dem Pfändungsfreibetrag nach § 850c ZPO abgegolten sind. Nach den Ermittlungen des LG Mühlhausen liegt die durchschnittlich zurückgelegte Entfernung zum Arbeitsplatz bei 20 km einfache Entfernung (Beschl. v. 3.6.2016 – 1 T 37/16, InsbürO 2016, 467). Ein zusätzlicher Pfändungsschutz für Fahrtkosten kommt daher nur für Entfernungen in Betracht, die weiter sind als 20 km. Pro gefahrenem Kilometer sind dann 0,20 EUR (LG Mühlhausen, a.a.O.) oder 0,30 EUR (LG Duisburg, Beschl. v. 14.3.2007 – 7 T 15/07; s. auch Kohte VuR 2017, 359, 361) anzusetzen. Besondere Aufwendungen für Arbeitskleidung oder einen notwendigen Arbeitsraum sind ebenfalls ersatzfähig (Zöller/Herget, a.a.O., § 850f Rn 4).
c) Sicherung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums
Wesentliches Prinzip des Pfändungsschutzes ist, dass der Schuldner durch die Pfändung nicht sozialhilfebedürftig wird und damit der Allgemeinheit nicht zur Last fallen darf (Meller-Hannich, in: Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl. 2016, § 850 Rn 1). Damit soll verhindert werden, dass öffentliche Kassen indirekt private Schulden bezahlen. Aber dieses Prinzip leitet sich auch aus dem Grundrecht der Menschenwürde aus Art. 1 GG ab.
Daraus folgend bestimmt § 850f Abs. 1 lit. a ZPO, dass der Schuldner einen Antrag auf Erhöhung der Pfändungsfreigrenze stellen kann, wenn die Pfändung oder der Insolvenzbeschlag dazu führen würde, dass dem Schuldner und seinen Angehörigen nicht der sozialhilferechtliche Mindestbedarf nach dem SGB II bzw. SGB XII verbleiben würde. Dieser errechnet sich aus den Kosten einer angemessenen Wohnung plus Heizkosten sowie den Regelsätzen für die Haushaltsangehörigen inkl. etwaiger Zuschläge z.B. für Alter, Schwangerschaft und Alleinerziehende.
Auch ein Zuschlag für die Erwerbstätigkeit ist bei der Bemessung des Regelsatzes zu berücksichtigen (BGH, Beschl. v. 12.12.2003 – IXa ZB 225/03, MDR 2004, 711 ff.), wobei die Höhe des anzusetzenden Betrages streitig ist (vgl. dazu die Beispiele bei Stöber, a.a.O., Rn 1176d ff.). In der Praxis erscheint ein Zuschlag i.H.v. 30–50 % der Regelsätze als praktikabel (Stöber, a.a.O., Rn 1176d).