Der wohl häufigste Fall, in dem ein Gläubiger einen pfändungserweiternden Beschluss des Gerichts erwirkt, ist die Situation, dass ein vom Arbeitgeber berücksichtigter Unterhaltsberechtigter über eigene Einkünfte verfügt, so dass es ungerechtfertigt ist, dem Schuldner den vollen unpfändbaren Zuschlag nach § 850c ZPO zu belassen. In diesem Fall hat der Gläubiger beim Vollstreckungsgericht (oder der Insolvenzverwalter/Treuhänder beim Insolvenzgericht) die volle oder teilweise Nichtberücksichtigung des vermeintlich Unterhaltsberechtigten des Schuldners zu beantragen.
Die Frage, ab welcher Höhe des eigenen Einkommens einer unterhaltsberechtigten Person diese gar nicht mehr oder nur noch teilweise zu berücksichtigen wäre, wird allerdings von den Gerichten sehr unterschiedlich beurteilt. Der BGH hat den Gerichten diesbezüglich einen großen Ermessensspielraum eingeräumt (BGH, Beschl. v. 5.4.2005 – VII ZB 28/05, NJW-RR 2005, 1239 f.).
Praxishinweis:
Eine Orientierung an den Regelsätzen gem. SGB II zzgl. eines Zuschlags von 30–50 % für die Erwerbstätigkeit hält der BGH jedenfalls nicht für unangemessen.
Richtigerweise wird man auch die Kosten für die Wohnung berücksichtigen müssen, denn es liegt auf der Hand, dass mehrere Personen höhere Unterkunftskosten haben, als nur eine Person. In der Praxis werden von den Gerichten z.T. sehr unterschiedliche Werte angenommen, ab der eine vollständige Nichtberücksichtigung erfolgt. In der Regel dürfte bei einem Einkommen von unter 700,00 EUR netto der Unterhaltsbedarf einer erwachsenen Person nicht vollständig gedeckt sein.
Beispiele aus der Rechtsprechung:
- AG Delmenhorst, Beschl. v. 12.8.2013 – 11 M 1489/13, JurBüro 2013, 658 f.: Nichtberücksichtigung bei Einkommen nahe Sozialhilfesatz (650 EUR),
- AG Delmenhorst, Beschl. v. 22.6.2017 – 10 M 155/17, JurBüro 2017, 552: Einkommen i.H.v. 350 EUR deckt 63 % des Bedarfs.
- LG Verden, Beschl. v. 31.5.2013 – 6 T 65/13, JurBüro 2013, 491 f.: Bei einem Einkommen von 400 EUR ist die Ehefrau zu 75 % nicht zu berücksichtigen.
Die Beschlüsse fallen auch bzgl. der Tenorierung unterschiedlich aus. Wird ein bestimmter Betrag zusätzlich als unpfändbar deklariert, ist die Berechnung einfach, ist der zuvor nach der Tabelle ermittelte Pfändungsbetrag entsprechend zu reduzieren. Häufig wird in dem Beschluss aber ein Bruchteil der Berücksichtigung festgelegt: "Die Ehefrau ist bei der Pfändung zur Hälfte zu berücksichtigen." oder "Der Ehemann ist bei der Pfändung zu 20 % zu berücksichtigen." Für diese Bruchteile gibt es leider keine "offizielle" Pfändungstabelle. Hilfreich ist in diesem Fall eine weitere Excel-Tabelle, die im Internet kostenlos heruntergeladen werden kann ( www.judis.info; s. hierzu bereits unter III. 2.).
Grundsätzlich werden Kinder bei beiden Eltern in voller Höhe berücksichtigt. Der BGH hat aber entschieden, dass dann, wenn beide Eltern ein ausreichendes Einkommen haben, zu vermuten ist, dass auch beide das Kind finanziell unterstützen und die Unterhaltsverpflichtung entsprechend sinkt. In diesem Fall kann durch das Gericht angeordnet werden, dass unterhaltsberechtigte Kinder bei jedem Elternenteil nur zur Hälfte berücksichtigt werden (BGH, Beschl. v. 16.4.2015 – IX ZB 41/14, MDR 2015, 797).
Leistet der Schuldner an den Unterhaltsberechtigten keinen Unterhalt und wird dieser dennoch vom Drittschuldner als unterhaltsberechtigte Person berücksichtigt, liegt eigentlich kein Fall des § 850c Abs. 4 ZPO vor, da es gar nicht darum geht, ob der Unterhaltsberechtigte eigenes Einkommen hat. In diesem Fall ist aber anerkannt, dass der Gläubiger einen Klarstellungsbeschluss des Vollstreckungsgerichts beantragen kann, dass der Unterhaltsberechtigte bei der Pfändung nicht berücksichtigt wird (zuletzt BGH, Beschl. v. 28.9.2017 – VII ZB 14/16, ZAP EN-Nr. 39/2018 = NJW 2017, 3591 f.).