Das BAG (Urt. v. 23.8.2018 – 2 AZR 133/18, NZA 2018, 1329) hat erstmalig zu einer offenen Videoüberwachung entschieden. Der Zweite Senat hat erkannt, dass die Speicherung von Bildsequenzen aus einer rechtmäßigen offenen Videoüberwachung, die vorsätzliche Handlungen eines Arbeitnehmers zulasten des Eigentums des Arbeitgebers zeigen, nicht durch bloßen Zeitablauf unverhältnismäßig werden, solange die Ahndung der Pflichtverletzung durch den Arbeitgeber arbeitsrechtlich möglich ist.
Das BAG hatte den Fall einer Arbeitnehmerin zu beurteilen, die in einem Tabak- und Zeitschriftenhandel mit angeschlossener Lottoannahmestelle tätig war. Dort hatte der Beklagte eine offene Videoüberwachung installiert. Mit den Aufzeichnungen wollte er sein Eigentum vor Straftaten sowohl von Kunden als auch von eigenen Arbeitnehmern schützen. Nach dem Vortrag des Beklagten wurde im 3. Quartal 2016 ein Fehlbestand bei Tabakwaren festgestellt. Bei einer im August 2016 vorgenommenen Auswertung der Videoaufzeichnungen habe sich gezeigt, dass die Klägerin an zwei Tagen im Februar 2016 vereinnahmte Gelder nicht in die Registrierkasse gelegt habe. Der Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos.
Während ArbG und LAG der Klage stattgaben, hatte die Revision vor dem Zweiten Senat des BAG im Sinne der Aufhebung des Kündigungsschutzantrages und der Zurückverweisung Erfolg. Das BAG konnte nicht feststellen, ob die offene Videoüberwachung rechtmäßig war. Sollte eine rechtmäßige offene Videoüberwachung vorgelegen haben, hätte dies eine zulässige Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der einschlägigen Bildsequenzen nach § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG a.F. (jetzt § 26 BDSG) zur Folge. Dementsprechend wäre das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin nicht verletzt. Ein Verwertungsverbot griffe nicht ein. Der Beklagte musste das Bildmaterial auch nicht sofort auswerten. Er durfte solange warten, bis er dafür einen berechtigten Anlass sah. Sollte die Videoüberwachung rechtmäßig erfolgt sein, stünden auch die Vorschriften der seit dem 25.5.2018 geltenden Datenschutzgrundverordnung einer gerichtlichen Verwertung der erhobenen personenbezogenen Daten der Klägerin im weiteren Verfahren nicht entgegen.
Hinweise:
- Die Entscheidung besitzt universelle Bedeutung soweit Räume der offenen Videoüberwachung unterliegen, wie dies insbesondere in vielen Einkaufsgeschäften und bei Eingangsbereichen, Fluren öffentlicher Behörden oder Amtsräumen mit Publikumsverkehr der Fall ist.
- Der Zweite Senat hat zu § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG in der bis zum 25.5.2018 geltenden Fassung (a.F.) entschieden. Dieser lautet: "Personenbezogene Daten eines Beschäftigten dürfen für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist."
- Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Erstellung von Videoaufnahmen eines Mopedfahrers im Straßenverkehr und ihre Benutzung als Beweismittel vor Gericht nicht als Verletzung von Art. 8 EMRK eingeordnet (EGMR, NJW 2015, 1079).
- In der "Dash-Cam"-Entscheidung hat der BGH (Urt. v. 15.5.2018 – VI ZR 233/17, VersR 2018, 1076) für eine an sich unzulässige anlasslose und permanente Überwachung durch eine Dashcam durch Güterabwägung im Einzelfall die Zulässigkeit unter Verneinung eines Verwertungsverbots bejaht.
- Die Grundsätze des BAG sind wohl auch künftig auf offene Videoüberwachung übertragbar. § 4 des BDSG i.d.F. vom 25.5.2018 entspricht § 6 BDSG a.F. § 24 Abs. 1 Nr. 2 BDSG lässt die Einzelfallabwägung zur Rechtsverfolgung gerade zu.
- Der Zweite Senat verhält sich – obiter dictum – zu einem sog. Sachvortragsverbot. Ein solches Sachvortragsverbot hat zur Folge, dass ein Sachvortrag prozessual stets als streitig anzusehen ist: (1) Ist substantiiert bestritten, folgt dies bereits aus den allgemeinen Grundsätzen. (2) Hat der Gegner nicht substantiiert bestritten, so darf in Folge des Sachvortragsverbots § 138 Abs. 3 ZPO – die Fiktion des unbestrittenen Sachverhalts – nicht angewendet werden. Dies hat zur Folge, dass die Tatsache stets beweisbedürftig ist – und dann am Verwertungsverbot scheitert. Ohne das Sachvortragsverbot läge eine prozessual unstreitige Tatsache vor, weshalb das Verwertungsverbot nicht zum Zuge käme; Das Persönlichkeitsrecht bliebe ungeschützt.