I. Arbeitsvertragsrecht
1. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – Beweiswert einer Bescheinigung über Arbeitsunfähigkeit (AU)
Die Parteien des hierzu referierenden Rechtsstreits streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und dabei insb. über den Beweiswert der vom Kläger im Jahr 2020 eingereichten AU-Bescheinigungen, BAG, Urt. v. 28.6.2023 – 5 AZR 335/22, NZA 2023, 1534, hierzu Oehlschläger, jurisPR-ArbR 9/2024, Anm. 1; zum Beweiswert von AU-Feststellungen s. ferner Benkert, NJW-Spezial 2024, 178.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund fristgemäßer Kündigung der Beklagten v. 1.9.2020, die der Kläger am 2.9.2020 zur Kenntnis nahm, am 30.9.2020. Für die Zeit v. 7. 9. 2020 bis zum 30.9.2020 legte er zwei AU-Bescheinigungen vor, zunächst v. 7.9.2020 bis zum 20.9.2020, dann eine Folgebescheinigung v. 21.9.2020 über fortbestehende AU bis zum 30.9.2020. Im Laufe des Rechtsstreits hat der Kläger Unterlagen zur Akte gereicht, aus denen die AU begründenden Diagnosen nach ICD-10 ersichtlich sind (Gelenkschmerzen Schulterregion gesichert rechts). Ferner hat er weitere AU-Folgebescheinigungen für die Zeit bis zum 15.11.2020 vorgelegt, in denen ebenfalls Beschwerden der rechten Schulter erwähnt sind. Die Beklagte verweigerte Zahlung für den Zeitraum v. 7. bis zum 30.9.2020 und behauptet, der Beweiswert für die vorgelegten AU-Bescheinigungen sei erschüttert, da sie unter Verstoß gegen § 5 Abs. 1 S. 4 der AU-Richtlinien (AU-RL) falsch codiert worden seien. Die Klage hatte in den Vorinstanzen ganz überwiegend Erfolg, die Revision der Bekl. war, so das BAG, unbegründet.
Arbeitnehmer haben nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der AU bis zur Dauer von 6 Wochen, wenn sie durch AU infolge Krankheit an ihrer Arbeitsleistung verhindert sind, ohne dass sie ein Verschulden trifft. Für die Anspruchsvoraussetzungen tragen die Arbeitnehmer die Beweislast nach allgemeinen Grundsätzen.
Hinweis:
Nach der vom Gemeinsamen Bundesausschuss nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 SGB V erstellten AU-RL – derzeit Stand 7.12.2023 (BAnz AT 27. 12. 2023 B 5) – liegt AU vor, wenn Versicherte aufgrund von Krankheit ihre zuletzt vor der AU ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen können, § 2 S. 1 AU-RL. Bei der Beurteilung ist darauf abzustellen, welche Bedingungen die bisherige Tätigkeit konkret geprägt haben. AU liegt auch vor, wenn aufgrund eines bestimmten Krankheitszustandes, der für sich allein noch keine AU bedingt, absehbar ist, dass aus der Ausübung der Tätigkeit für die Gesundheit oder die Gesundung abträgliche Folgen erwachsen, welche die AU unmittelbar hervorrufen, § 2 Abs. 1 S. 2 AU-RL. Die Feststellung der AU darf nach § 4 Abs. 5 S. 1 u. 2 AU-RL nur aufgrund einer ärztlichen Untersuchung erfolgen, unmittelbar persönlich oder mittelbar persönlich im Rahmen einer Videosprechstunde – hierfür gelten Sonderregelungen in § 4 Abs. 5 S. 3–10 AU-RL – oder, wenn die Feststellung im Rahmen einer Videosprechstunde nicht möglich ist, nach telefonischer Anamnese, aber nur eingeschränkt nach Maßgabe von § 4 Abs. 5a der Richtlinie. § 92 Abs. 4a S. 2 SGB V bestimmt, dass im Falle der erstmaligen Feststellung der AU im Rahmen einer ausschließlichen Fernbehandlung diese nicht über einen Zeitraum von bis zu drei Kalendertagen hinausgehen und ihr keine Feststellung des Fortbestehens der AU folgen soll.
Der entsprechende Beweis wird regelmäßig durch die Vorlage einer ärztlichen AU-Bescheinigung i.S.d. § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG geführt. Diese Vorschrift, wie auch deren Sätze 3–5, ist jedoch seit dem 1.1.2023 – nach Einführung des elektronischen Meldeverfahrens zwischen Krankenkasse (KK) und Arbeitgeber, s. näher § 109 SGB IV; zur Pflicht der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen, die von ihnen festgestellten AU-Daten aufzuzeichnen und an die KK zu übermitteln gem. § 295 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V – auf gesetzlich Versicherte nicht mehr generell anzuwenden, § 5 Abs. 1a EFZG. Zu den sich hieraus ergebenden Fragen s. etwa Holler, NZA 2023, 599 und Schaub, ArbR-HdB/Linck, § 98 Rn 108a, 108b. Den Arbeitnehmer (AN) trifft nach § 5 Abs. 1a S. 2 oder 4 EFZG allerdings die Obliegenheit, sich vom behandelnden Arzt eine ärztliche Bescheinigung nach § 5 Abs. 1 S. 2 oder 4 EFZG aushändigen zu lassen. Ob Arbeitgeber (AG) weiterhin Anspruch auf Vorlage einer Papierbescheinigung haben, ist dem Gesetz nicht zweifelsfrei zu entnehmen, Schaub, ArbR-HdB/Linck, § 98 Rn 108b m.w.N.
Ob die mit der Einführung der elektronischen AU-Bescheinigung erfolgten Neuerungen – wozu auch gehört, dass die Meldung der AU-Zeiten, die der Arbeitgeber nach § 109 Abs. 1 SGB IV bei der KK abrufen kann, keine Angaben zum feststellenden Arzt enthält – zu einem niedrigeren Beweiswert der AU-Bescheinigung führen, bleibt abzuwarten, s auch Benkert, Beweiswert von AU-Feststellungen, NJW-Spezial 2024, 178.
Im vorliegenden Fall war das seit dem 1.1.2023 bestehende Recht noch nicht anzuwenden.
Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung i....