In gerichtlichen Verfahren kann es nach § 8 Abs. 1 S. 2 RVG auch zu Teilfälligkeiten kommen. Solche Teilfälligkeiten sind für den Umsatzsteuersatz jedoch irrelevant, da nicht die Fälligkeit, sondern die Erledigung des Auftrags oder die Beendigung der Angelegenheit entscheidend ist. Dieser Zeitpunkt stimmt aber nur mit dem Fälligkeitszeitpunkt nach § 8 Abs. 1 S. 1 RVG überein, nicht auch mit dem Fälligkeitszeitpunkt nach § 8 Abs. 1 S. 2 RVG.
Beispiel:
Der Anwalt hatte im April 2020 auftragsgemäß vor dem LG eine Zahlungsklage über 8.000 EUR eingereicht. Da der Beklagte seine Verteidigungsbereitschaft nicht anzeigt, ergeht gegen ihn nach § 331 Abs. 3 ZPO ein Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren. Daraufhin legt der Beklagte durch seinen Anwalt Einspruch ein. Es kommt zur mündlichen Verhandlung im August 2020, in der ein Urteil ergeht.
Da ein Versäumnisurteil eine Kostenentscheidung erhält, ist die bis dato angefallene Vergütung gem. § 8 Abs. 1 S. 2, 1. Var. RVG fällig geworden. Der Anwalt konnte also wie folgt abrechnen, und zwar mit 19 % Umsatzsteuer, da im April 2020 noch der Steuersatz von 19 % galt.
I. Abrechnung nach Versäumnisurteil |
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 8.000 EUR) |
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592,80 EUR |
2. |
0,5-Terminsgebühr, Nr. 3104, 3105 VV RVG (Wert: 8.000 EUR) |
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228,00 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
840,80 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG |
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159,75 EUR |
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Gesamt |
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1.000,55 EUR |
Mit dem Erlass des Versäumnisurteils ist zwar (Teil-)Fälligkeit nach § 8 Abs. 1 S. 1, 1. Var. RVG eingetreten. Aufgrund des Einspruchs war aber weder der Auftrag erledigt noch die Angelegenheit beendet. Sowohl Erledigung als auch Beendigung sind erst mit Erlass des Urteils eingetreten. Daher ist die gesamte Angelegenheit mit 19 % zu versteuern. Es ist hier nicht anders vorzugehen als bei einem Vorschuss (s.o. IV).
II. Schlussrechnung |
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 8.000 EUR) |
|
592,80 EUR |
2. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 8.000 EUR) |
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547,20 EUR |
3. |
1,0-Einigungsgebühr, Nr. 1000, 1003 VV RVG (Wert: 8.000 EUR) |
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456,00 EUR |
4. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
|
20,00 EUR |
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Zwischensumme |
1.616,00 EUR |
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5. |
16 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG |
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258,56 EUR |
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Gesamt |
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1.874,56 EUR |
6. |
abzüglich gezahlter netto |
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– 840,80 EUR |
7. |
abzüglich gezahlter Umsatzsteuer |
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– 159,75 EUR |
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Restbetrag |
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874,01 EUR |
Faktisch kommen dem Mandanten also 3 % Steuerdifferenz aus 840,80 EUR (= 25,22 EUR) zugute.
Solche Teilfälligkeiten kommen auch in anderen Konstellationen in Betracht.
Beispiel:
Im Mai 2020 hatte der Anwalt einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eingereicht. Das Gericht hatte die beantragte einstweilige Verfügung ohne mündliche Verhandlung noch im Mai erlassen. Der Antragsgegner hat Widerspruch eingelegt, über den im Juli 2020 entschieden wird.
Das gesamte einstweilige Verfügungsverfahren ist eine einzige Angelegenheit. Ungeachtet dessen ist mit dem Erlass der einstweiligen Verfügung zunächst einmal Fälligkeit der bis dahin angefallenen Vergütung nach § 8 Abs. 1 S. 2, 1. Var. RVG eingetreten, sodass der Anwalt seine bis dahin angefallene Vergütung mit 19 % Umsatzsteuer abrechnen konnte. Dadurch, dass sich die Angelegenheit aber aufgrund des Widerspruchs fortgesetzt hat und es sich insgesamt um eine einheitliche Angelegenheit handelt, die jetzt erst im Juli endet, gilt einheitlich der Umsatzsteuersatz von 16 %, sodass auch hier eine eventuell zuvor erteilte Rechnung hinsichtlich der Umsatzsteuer korrigiert werden muss. Man kann auch hier nicht von gesondert zu vergütenden Teilleistungen ausgehen.
Des Weiteren kommen Teilfälligkeiten auch bei Stufenklagen vor, da hier stufenweise entschieden wird.
Beispiel:
Im März 2020 erhebt der Anwalt für seinen Mandanten eine Stufenklage auf Auskunft und Zahlung eines nach Auskunftserteilung noch zu beziffernden Pflichtteils. Im Mai 2020 wird über die Auskunft verhandelt und der Antragsgegner zur Auskunft verurteilt. Nach Auskunftserteilung wird im Oktober 2020 über den Zahlungsantrag verhandelt und entschieden.
Das gesamte Verfahren ist eine einzige Angelegenheit. Die Vergütung aus dem Gegenstandswert der’Auskunft ist bereits im Mai fällig geworden, da hinsichtlich des Auskunftsanspruchs mit dem Teilurteil zur Auskunftsstufe der Rechtszug beendet worden ist (§ 8 Abs. 1 S. 2, 2. Var. RVG). Die weitere Vergütung, also die Differenz zu der Vergütung aus dem höheren Wert der Leistung wird dagegen erst im November fällig. Ungeachtet dieser Teilfälligkeiten gilt insgesamt der Steuersatz von 16 %, da die Angelegenheit erst im Oktober beendet worden ist.
Beispiel:
Im März 2020 ergeht ein Strafbefehl, gegen den der schon im Ermittlungsverfahren beauftragte Verteidiger Einspruch einlegt. Es folgt daraufhin im Juli 2020 die Hauptverhandlung.
Die bis zum Erlass des Strafbefehls angefallene Vergütung ist bereits im März nach § 8 Abs. 1 S. 2, 1. Var. RVG fällig geworden, da der Strafbefehl eine Kostenentscheidung enthält. ...