Nachdem die Corona-Pandemie seit mehr als einem Jahr unseren Alltag bestimmt, möchte ich an dieser Stelle einen kurzen Erfahrungsbericht präsentieren.

Zunächst zu meinem familiären Hintergrund: Mann Rechtsanwalt, Frau Oberregierungsrätin, beide Vollzeit berufstätig, zwei Kinder im Grundschulalter, keine Verwandten im Umkreis von 250 km, diverse Risikopatienten im Familien-, Freundes- und Kollegenkreis. Überwiegend Homeschooling. Selbst an den Tagen, an denen die Kinder zeitweise zur Schule durften, gab bzw. gibt es keine darüberhinausgehende Betreuungsmöglichkeit. Wir versuchen, die Kontakte möglichst zu minimieren, auch wenn einem dies oftmals schwer gemacht wird (die jeweiligen Arbeitgeber an dieser Stelle explizit außen vorgelassen). Seit einem Jahr befinden wir uns quasi im Dauerhomeoffice – gut, dass jeder seinen eigenen Rückzugsraum hat.

Es soll an dieser Stelle um meine Erfahrungen mit der Regelung des § 128a ZPO gehen, welcher in Zeiten von MS Teams-, Zoom-, JitSi-, BlueJeans-, Skype for Business-Konferenzen eigentlich wie geschaffen erscheint als Reaktion der Zivilprozessordnung auf die Pandemie und die immer wieder geforderte Kontaktbeschränkung.

Wie überall in der Bevölkerung gibt es sicherlich auch in der Richter- und Anwaltschaft Zweifler, Mahner, Leugner und „Übervorsichtige” angesichts des Coronavirus; gleichwohl finde ich, dass man nun in der zweiten (bzw. dritten Welle: Gab es hier überhaupt eine Pause?) eine deutlich andere Herangehensweise gerade von Seiten der Richterschaft beobachten kann.

Während man sich im Frühjahr 2020 allenfalls noch über manche Richter/innen wunderte, welche Verhandlungstermine vom März auf Mai verschoben, um diese dann später in den Herbst zu verlegen, konnte man Terminsverlegungen noch recht unproblematisch erreichen. Videoverhandlungen waren bei mir selbst damals weniger ein Thema, während Kolleg:innen dies damals teilweise schon rege genutzt haben.

Meiner Erfahrung nach ist es spätestens nach dem Jahreswechsel deutlich komplizierter und frustrierender geworden, eine Videoverhandlung oder gar eine Terminsaufhebung zu erreichen und dies, obwohl die ZPO mit § 128a ZPO ja eigentlich ein Instrumentarium bereitstellt, welches unnötige Fahrten und Termine vor Ort leicht vermeiden könnte. Zur Illustration ein paar Beispiele:

Richter/in Typ 1: der/die nicht so Technikaffine

Noch bevor man einen Antrag nach § 128a ZPO auf die Durchführung einer Videoverhandlung stellen konnte, gab es quasi automatisch nach der ersten Schriftsatzrunde der Parteien den Hinweis, dass der/die Vorsitzende mit so neumodischem Kram gar nichts anfangen könne und froh sei, dass Diktiergerät bedienen zu können. Entweder schriftliches Verfahren oder Verhandlung vor Ort – das seien die Alternativen. Die Sache wurde sodann verglichen.

Richter/in Typ 2: der/die Fehlinterpret/in

Der Antrag nach § 128a ZPO wurde gestellt und als Reaktion hierauf kam der Hinweis, dass dies nur ginge, wenn beide Parteien dem Termin fernbleiben würden. Der Hinweis, dass dies weder dem Wortlaut des § 128a ZPO noch der einschlägigen Literatur zur entnehmen sei, sondern auch sog. Hybridveranstaltungen möglich seien (einer vor Ort, einer per Video zugeschaltet), wurde glattweg ignoriert. Zur Vermeidung eines ggf. drohenden Versäumnisurteils – die Kinder wollte man nicht allein lassen, da an diesem Tag die Schule geschlossen war und der Rechtsanwalt an diesem Tag alleinverantwortlich war – wurde dann kurzfristig eine Vertretung zum Termin geschickt. Bestimmt keine Dauerlösung und keine Alternative für Kolleg:innen aus kleineren Einheiten.

Richter/in Typ 3: der/die Verharmloser/in

Zwei parallele Verfahren mit unterschiedlichen Anspruchstellern, aber jeweils demselben Schuldner und jeweils noch zwei Streitverkündeten. Bevor man jahrelang prozessiert, kann man ja einmal eine Mediation versuchen. Dies gilt insb. dann, wenn es um Tausende von Einzelpositionen geht und man nur eine elektronische (Gerichts-)Akte hat. So weit, so gut. Ja, mir ist bewusst, dass gerade solche Verhandlungssituationen vermutlich besser persönlich vor Ort durchgeführt werden als mittels einer Videoverhandlung. Aber: Kurzfristig Mitte der zweiten Welle fünf Parteien mit jeweils vier bis fünf Vertretern (jeweils kaufmännische und juristische Leitung der jeweiligen Partei plus deren jeweilige Prozessbevollmächtigte, also mit dem Gericht vermutlich 25 Personen), die aus dem gesamten Bundesgebiet hätten anreisen müssen, die Möglichkeit einer Videoverhandlung komplett zu verwehren, zeugt meines Erachtens bereits von fehlendem Fingerspitzengefühl. Folgt dann noch auf den Hinweis, dass sich unter den geladenen Personen mehrere Angehörige von Risikogruppen befinden würden, lediglich die Reaktion, dass der/diejenige eine Maske tragen und man den Gerichtssaal bei Bedarf auch lüften könne, wächst das Bauchgrummeln, ob das so eine gute Idee war mit der Mediation (die Schulräume werden alle 20 Minuten auf Kühlschranktemperatur heruntergekühlt). Getoppt wird das Ganze dann nur, wen...

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