Die in der Überschrift angegebene Entscheidung des LAG Niedersachsen (künftig: LAG) vom 23.10.2018 (11 Sa 225/18, juris) befasst sich mit der Frage, wann im Falle der Gleichstellung der besondere Kündigungsschutz einsetzt. Abzustellen ist hierbei einerseits auf den Zugang der Kündigung, andererseits nach § 173 Abs. 3 2. Alt. darauf, ob das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 152 Abs. 1 S. 3 eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte, wenn zu diesem Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Schwerbehinderteneigenschaft nicht nachgewiesen ist.
§ 173 Abs. 3 ist nach der Rechtsprechung des BAG auch auf das Gleichstellungsverfahren anzuwenden, obwohl dessen Wortlaut nur schwerbehinderte Menschen erwähnt; für diese Auffassung spricht die Generalverweisung durch § 151 Abs. 3 (so BAG, Urt. v. 1.3.2007 – 2 AZR 217/06, NZA 2008, 302, Rn 29 ff.) zu den entsprechenden Vorschriften in § 90 Abs. 2a und § 68 Abs. 3 a.F.
Konkret entschied das LAG darüber, ob, bzw. welche Anforderungen an die Form des Gleichstellungsantrags nach § 151 Abs. 2 S. 1 zu stellen sind; in dem entschiedenen Fall wurde die Gleichstellung telefonisch beantragt. Diese Rechtsfrage ist bislang nicht höchstrichterlich geklärt. Die vom LAG zugelassene Revision wurde zwar eingelegt (BAG v. 28.3.2019 – 2 AZR 513/18), die Parteien haben sich jedoch im Revisionstermin verglichen (s. Terminmitteilung des BAG v. 28.3.2019).
1. Allgemeines zum Sonderkündigungsschutz nach § 173 Abs. 3
Grundsätzlich bedarf nach § 168 jede Kündigung (Beendigungs- oder Änderungskündigung, ordentliche oder außerordentliche Kündigung) des Arbeitsverhältnisses schwerbehinderter Menschen oder der ihnen gleichgestellten behinderten Menschen (§ 151 Abs. 3) durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts (zuständig nach § 185 Abs. 1 S. 1 Nr. 2). Ausnahmen finden sich in § 173 Abs. 1 u. 2. Eine ohne diese Zustimmung ausgesprochene Kündigung ist nach § 134 BGB nichtig.
Hinweis:
In allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art ist nach § 40 Abs, 1 S. 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Da eine solche Zuweisung vorliegend fehlt, ist gegen Verwaltungsakte des Integrationsamts der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. In Anfechtungsklagen hat allerdings zwingend die vorherige Nachprüfung in einem Widerspruchsverfahren zu erfolgen, § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO. Hinsichtlich des Widerspruchsverfahrens beim Integrationsamt s. § 201 ff.
Für das Verwaltungs- und Gerichtsverfahren finden das VwVfG bzw. die VwGO Anwendung.
Wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch/gleichgestellter behinderter Mensch nicht nachgewiesen ist und die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft auch nicht wegen Offenkundigkeit – d.h. Arbeitgeber müssen aus den ihnen bekannten Tatsachen sicher von einem GdB von zumindest 50 ausgehen können, wie z.B. bei Blindheit, Taubheit, Verlust von Gliedmaßen – entbehrlich ist (s. etwa BAG NZA 2002, 1145), besteht der besondere Kündigungsschutz nur nach Maßgabe der Vorschrift des § 173 Abs. 3, 2. Alt. Diese Norm wurde mit Wirkung zum 1.5.2004 als Abs. 2a des § 90 SGB IX a.F. eingefügt (BGBl I, 606) und beruht auf folgenden gesetzgeberischen Erwägungen: Die Neufassung wollte die bis zum 30.4.2004 bestehende Rechtslage ändern, wonach eine Kündigung bis zu einem Monat nach Zugang mit der Behauptung angegriffen werden konnte, schwerbehindert zu sein (s. Neumann in: Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Jabben, SGB IX, 14. Aufl. § 173 Rn 23 m.w.N.). Grundsätzlich soll der Kündigungsschutz gem. § 90 Abs. 2a 1. Alt. (= § 173 Abs. 3 1. Alt.) an den entsprechenden Nachweis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung gebunden sein. Als Einschränkung hierzu ist die zweite Alternative dieser Norm zu verstehen, wonach auch dann, wenn zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch bzw. als behinderter, gleichgestellter Mensch nicht nachgewiesen ist, der Sonderkündigungsschutz eingreifen kann,
- wenn der Feststellungs-/Gleichstellungsantrag so rechtzeitig gestellt ist, dass er beim Versorgungsamt bis zum Kündigungszugang innerhalb der für seine Bearbeitung vorgesehenen gesetzlichen Fristen (§ 69 Abs. 1 S. 2 a.F., nunmehr § 152 Abs. 1 S. 3) beschieden werden konnte und
- das Fehlen des Nachweises nicht auf fehlender Mitwirkung der Antragsteller beruht (s. BAG, Urt. v. 6.9.2007 – 2 AZR 324/06, juris Rn 18).
Aufgrund der Verweisung auf die in § 152 Abs. 1 S. 3 genannten Fristenvorschriften (bis 31.12.2017: § 14 Abs. 2 S. 2 u. 4, Abs. 5 S. 2 u. 5 sowie § 60 SGB I, nunmehr seit 1.1.2018: § 14 Abs. 2, S. 2 u. 3, § 17 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 2 S. 1 sowie § 60 SGB I) hat das Versorgungsamt eine Entscheidung innerhalb von drei Wochen nach Antragstellung zu treffen; ist für die Feststellung ein Gutachten erforderlich, verlängert sich die Frist auf sieben Wochen. Aus Gründen der Rechtssicherheit stellt das BAG einheitlich auf die Dreiwochenfrist ab, die so...