Die Rechtsgrundlagen des elektronischen Rechtsverkehrs sind kompliziert. Kaum ein Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin macht sich deshalb die Mühe, selbst herauszufinden, welche Vorschriften mit welchen Maßgaben es für die Korrespondenz mit den Gerichten und anderen Kollegen und Kolleginnen gibt; vielmehr wird in aller Regel auf Anleitungen und Checklisten vertraut, die offizielle Stellen, EDV-Anbieter oder die Fachliteratur für die tägliche Arbeit speziell mit dem beA zusammengestellt haben. Das ist in den meisten Fällen der sicherste Weg für den durchschnittlichen Computernutzer, führt aber manchmal auch zu Überraschungen. Dies zeigt eine aktuelle Entscheidung des BAG, welche eine bislang als zwingend erachtete Vorgabe zur Nutzung "eingebetteter Schriftarten" in übermittelten PDF-Dateien für schlichtweg unbeachtlich erklärt hat.
Der Fall: Ein Kollege hatte in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren Berufung eingelegt. Er nutzte hierzu sein Anwaltspostfach (beA) unter Verwendung des PDF-Formats. Das Landesarbeitsgericht, das aktuell noch papierhaft arbeitet, druckte die Dateien aus und bearbeitete das Verfahren – wie alle Prozessakten – mit der Papierakte weiter. Erst bei der Terminierung einige Monate später stellte das Gericht Mängel der elektronischen Dokumente fest, weil nicht alle verwendeten Schriftarten in das PDF-Dokument eingebettet waren und teilte das dem Berufungsführer mit. Daraufhin reichte der Anwalt die Dateien erneut ein. Dieses Mal waren die Dokumente einwandfrei, allerdings hatte der Kollege jetzt vergessen, die inhaltliche Übereinstimmung der neu übersandten Dokumente gem. § 130a Abs. 6 ZPO zu versichern. Dieses Versäumnis holte er später nach, allerdings aus Sicht des Gerichts zu spät: Wegen Formmangels wurde die Berufung insgesamt als unzulässig zurückgewiesen.
Den Versuch der Berufungsrichter, sich auf diese Weise der Akte elegant zu "entledigen", vereitelte allerdings das BAG (Beschl. v. 25.4.2022 – 3 AZB 2/22 u. 3 AZB 3/22). Die Vorgabe, dass sämtliche Schriftarten und andere Inhalte, die zur korrekten Wiedergabe der übermittelten PDF-Datei erforderlich seien, ausschließlich in derselben Datei enthalten ("eingebettet") sein müssen, finde sich in der ERVB 2019 (Elektronischer-Rechtsverkehr-Bekanntmachung 2019), erläuterte der Senat. Speziell diese Vorschrift sahen die Erfurter Richter allerdings höchst kritisch: Sie sei kein Gesetz und offenbar auch keine Verordnung. Vielmehr habe hier die Bundesregierung – ohne Zustimmung des Bundesrats – mit dieser Bekanntmachung das Erfordernis aufgestellt, dass in einem elektronischen Dokument alle Schriftarten eingebettet sein müssten. Selbst dann, wenn man dieses Erfordernis überhaupt als durch gesetzliche Ermächtigungen gedeckt ansähe – woran schon Zweifel bestünden – wäre eine solche Übertragung einer Rechtssetzungsbefugnis auf die Bundesregierung mangels konkreter Zustimmung des Bundesrates gem. § 130a Abs. 2 ZPO jedenfalls unwirksam. Nach Auffassung des 3. BAG-Senats ist die genannte Formvorschrift daher unbeachtlich, die Verwerfung der Berufung schon allein deswegen zu Unrecht erfolgt.
Die Erfurter Richter verwiesen auch noch auf einen weiteren Aspekt, nämlich den Umstand, dass das Landesarbeitsgericht noch gar nicht durchgängig elektronisch arbeitet. Solange bei einem Gericht die Akte noch nicht i.S.d. § 298a Abs. 1 ZPO elektronisch geführt werde, also alle elektronischen Dokumente nach ihrem Eingang weiter ausgedruckt würden, seien diese Dokumente aufgrund der Ausdrucke für die Bearbeitung durch die Gerichte grds. geeignet. Aus den maßgeblichen ZPO-Vorschriften (§§ 298 Abs. 4, 416a ZPO) lasse sich ableiten, dass der Gesetzgeber den elektronischen Dokumenten eine geringere Bedeutung beimesse, wenn die Akten noch in der Papierform geführt würden. Verkenne man dies und erschwere man in der Konsequenz die Einlegung eines Rechtsmittels, könne ein Verstoß gegen den Justizgewährleistungsanspruch vorliegen.
Das Landesarbeitsgericht wird deswegen nun erneut über die Berufung zu entscheiden haben.
[Quelle: BAG]