Wenn man den aktuellen Prognosen Glauben schenken darf, dann werden die Ausbildungszahlen für das vor uns liegende Ausbildungsjahr 2023/2024 noch einmal dramatisch sinken. Und das liegt nicht daran, dass es zu wenig Kanzleien gibt, die Ausbildungsplätze im Angebot haben. Vielmehr ist die Nachfrage junger Menschen für die Berufe im Rechtsbereich leider eher überschaubar.
Gehört Ihre Kanzlei auch zu denen, die einen Ausbildungsplatz frei haben, ihn aber noch nicht besetzen konnten? Dann lohnt es sich vielleicht einmal, die klassischen Wege zu verlassen und einen anderen Kurs einzuschlagen: Die örtlichen Industrie- und Handelskammern bieten in Kooperation mit den Arbeitsagenturen oftmals sog. Azubi-Speed-Dating-Termine an. Ihre Kanzlei könnte sich dort anmelden und den Beruf sowie die Kanzlei als Ausbildungsunternehmen vorstellen. Oder stellen Sie Ihre Kanzlei in einem kurzen Videoclip dar, werben dabei für den Beruf und teilen gleichzeitig mit, dass Sie als Ausbildungskanzlei einen Platz zu vergeben haben. Dieses Video stellen Sie dort online, wo junge Menschen sich bewegen: also in die Sozialen Medien. Seien Sie mutig, aber nicht ohne im Team zu reflektieren. Ist das Video dann gedreht, präsentieren Sie es Ihrem Kanzleiteam oder fragen Sie in Ihrer örtlichen Berufsschule nach, ob Sie das Video dort einmal vorstellen können und bitten um ehrliches und offenes Feedback. Haben Sie mit dem Video den Ton getroffen, der die jungen Menschen anspricht? Dann raus damit in die virtuelle Welt!
Nicht erfolgreich, oder doch zu aufwendig? Dann wäre eine weitere Möglichkeit der Weg in die weiterführenden oder allgemeinbildenden Schulen. Stellen Sie dort (nach Rücksprache mit der Schulleitung) den Beruf und auch gleich Ihre Kanzlei vor. Wecken Sie das Interesse der jungen Menschen. Manche weiterführenden Schulen bieten auch sog. Recht-AGs an, bei denen man als (ehrenamtlich engagierte/r) Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt in das Thema „Recht” einführen, aber auch zugleich für den Ausbildungsberuf begeistern kann. Denn oftmals ist der Beruf des Juristen und der Fachangestellten immer noch mit einem verstaubten Image verbunden, oder – noch schlimmer – gar nicht bekannt. Hier gilt es Aufklärungsarbeit zu leisten, denn auch in unseren Kanzleien wird eine moderne Arbeitswelt angeboten. Papieraktenberge und verstaubte Akten gehören der Vergangenheit an.
Wir arbeiten digital mit Unterstützung verschiedener Softwareprogramme, KI steht auch vor unseren Türen und wird die Arbeitswelt noch einmal rasant verändern. Bieten Sie neben einem freien Ausbildungsplatz aktiv Praktika an, bei Interesse von Schülerinnen und Schülern ggf. auch in den Ferien. Doch auch hier gilt: Achtung! Ein Praktikum kann schnell zum Boomerang werden, wenn das Praktikum nicht sorgfältig vorbereitet wird und schlimmstenfalls der Praktikant nach drei Wochen vermehrter Langeweile, unterbrochen von Kopiertätigkeiten und viel Zeit an der Kaffeemaschine, am Ende eines gewiss weiß: Der Beruf der ReFa/ReNoFa wird es ganz bestimmt nicht. Ein Praktikum ist wie die Ausbildung kein Selbstläufer und gilt ordentlich vorbereitet und begleitet – und zwar unter Einbindung des gesamten Kanzleiteams. Jeder in der Berufsfamilie, also vom geschäftsführenden Partner, über die angestellten Rechtsanwälte und Fachangestellten bis hin zum ggf. vorhandenen Auszubildenden, sollte eingebunden sein.
Dies gelingt noch besser mit einem Praktikumsleitfaden! Als Grundlage für die Erstellung eines solchen Leitfadens steht die Frage: Was wollen wir dem Praktikanten in seiner Zeit vermitteln, sodass er die Kanzlei und auch den Beruf in guter Erinnerung behält? Was zeichnet also die Kanzlei und den Beruf aus? Daran anknüpfend wird man viele Eckpunkte finden, die man in einem Praktikum vermitteln kann. Hier ist also individuelle Kreativität gefragt und es werden Antworten gefunden, wie man zwei bis drei Wochen Praktikumszeit interessant gestalten und ein modernes Berufsbild vermitteln kann.
Fazit ist: Potenzielle Auszubildende purzeln nicht von allein durch die Kanzleitür. Um den Fachkräftemangel etwas abzufedern, müssen wir es schaffen, junge Menschen von dem Ausbildungsberuf zu begeistern. Dazu gehört die Vision einer beruflichen Perspektive – auch mit Blick auf attraktive Weiterbildungsmöglichkeiten – und eine Arbeitsatmosphäre, in denen junge Menschen sich gesehen und wertgeschätzt fühlen. Hier muss in einigen Kanzleien vielleicht noch ein Umdenken stattfinden und der Blick neu ausgerichtet werden, doch es ist optionslos.
Und so bleibt es mir noch einmal klarzustellen: Ausbildung ist ein Teamprojekt der Berufsfamilie – wenn Sie in einem guten Austausch sind und das Ziel Ausbildung fest im Blick haben, werden Sie es schaffen. Getreu nach unserem Vereinsmotto: „Gemeinsam mehr erreichen” wünsche ich Ihnen dabei gutes Gelingen!
ZAP F., S. 681–682
Ronja Tietje, Vorstandsmitglied des RENO-Bundesverbandes, Achim