1. Angemessene Ausbildung
Nach § 1610 Abs. 2 BGB hat jedes Kind seinen Eltern gegenüber einen Anspruch auf eine angemessene Ausbildung (s. Volker FuR 2015, 570). Geschuldet wird daher von den Eltern eine optimale Berufsausbildung, die der Begabung und den Fähigkeiten des Kindes, seinem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen am besten entspricht (OLG Brandenburg, Beschl. v. 1.12.2021 – 13 UF 166/20, FamRZ 2022, 1284 m.w.N.; OLG Bremen FamRZ 2022, 526).
Der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt setzt nicht die Wahl des am besten geeigneten Ausbildungswegs voraus (OLG Koblenz, Beschl. v. 17.9.2019 – 13 UF 341/19, FamRZ 2020, 1093).
Nach Abschluss dieser Ausbildung besteht dann i.d.R. kein Anspruch gegen die Eltern auf Finanzierung einer Zweitausbildung oder nicht notwendigen Weiterbildung.
Besondere Probleme können in der Praxis daher auftreten, wenn das Kind
- einen einmal begonnenen Ausbildungsweg abbricht, um eine andere Ausbildung aufzunehmen (Ausbildungswechsel) oder
- wenn nach einer abgeschlossenen Ausbildung eine weitere Ausbildung aufgenommen wird (Zusatzausbildung, Zweitstudium).
2. Zeitliche Rahmenbedingungen
Unterhaltspflicht der Eltern und der Unterhaltsanspruch des volljährigen Kindes stehen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis. Wegen dieses Gegenseitigkeitsprinzips (§ 1618a BGB) steht dem Anspruch des Kindes auf Finanzierung einer seiner Begabung, Neigung und seinem Leistungswillen entsprechende Berufsausbildung durch seine Eltern die Obliegenheit gegenüber, die Ausbildung mit Fleiß und gebotener Zielstrebigkeit in angemessener und üblichen Zeit durchzuführen und zu beenden (OLG Brandenburg, Beschl. v. 1.12.2021 – 13 UF 166/20, FamRZ 2022, 1284 m.w.N.).
3. Zeitpunkt des Ausbildungsbeginns – Verzögerung beim Ausbildungsbeginn
Daraus ergeben sich auch rechtliche Vorgaben für den Beginn der Ausbildung durch den Jugendlichen.
a) Übergangsphase/Erholungszeit
Einem Abiturienten steht nach dem Schulabgang vor der Fortsetzung der Ausbildung eine Erholungszeit zu, welche regelmäßig mit etwa drei Monaten anzusetzen ist (OLG Koblenz, Beschl. v. 17.9.2019 – 13 UF 341/19, FamRZ 2020, 1093; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 8.3.2012 – 2 WF 174/11, FamRZ 2012, 1648).
b) Orientierungsphase
Grundsätzlich muss das Kind nach dieser „Schonzeit” seine Ausbildung in angemessener Zeit aufnehmen. Jedem volljährigen Kind wird jedoch eine angemessene Orientierungsphase zugestanden (OLG Brandenburg, Beschl. v. 1.12.2021 – 13 UF 166/20; OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 3.8.2020 – 8 UF 165/19, FamRZ 2021, 1041; OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.3.2020 – 15 UF 164/18, FamRZ 2021, 1042; ausführlich Viefhues in: jurisPK-BGB, 2022, § 1610 Rn 216 ff.), deren Dauer sich jeweils nach Alter, Entwicklungsstand und den gesamten Lebensumständen des Jugendlichen richtet.
c) Großer zeitlicher Abstand zwischen Schulabschluss und Aufnahme der Ausbildung
Aus dem Gebot der Rücksichtnahme lässt sich auch ableiten, dass ein sehr großer zeitlicher Abstand zwischen Schulabschluss und Aufnahme der Ausbildung als auch eine bereits erreichte Eigenständigkeit der Lebensstellung des Kindes durchaus zu einer Beeinträchtigung des Ausbildungsanspruchs im Einzelfall führen kann.
Den Eltern wird nicht zugemutet, sich ggf. nach Ablauf mehrerer Jahre, in denen sie nach den schulischen Ergebnissen und dem bisherigen Werdegang des Kindes ggf. nicht mehr mit der Nachholung der Hochschulreife und der anschließenden Aufnahme eines Studiums rechnen mussten, einem Ausbildungsanspruch des Kindes ausgesetzt zu sehen (BGH, Beschl. v. 3.5.2017 – XII ZB 415/16, FamRZ 2017, 1132; OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.11.2018 – 11 UF 159/18, FamRZ 2019, 963). Die Eltern müssen sich in ihrer eigenen Lebensplanung in etwa darauf einstellen können, wie lange sie mit einer Unterhaltslast zu rechnen haben.
Von Bedeutung sind auch das Alter des Kindes und die Tatsache, dass das Kind bei Studienbeginn den Elternteil nach dem Abitur nicht über seine Ausbildungspläne informiert hat, sodass der Elternteil nicht mehr damit rechnen musste, noch auf Ausbildungsunterhalt in Anspruch genommen zu werden (BGH, Beschl. v. 3.5.2017 – XII ZB 415/16, FamRZ 2017, 1132; OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.11. 2018 – 11 UF 159/18, FamRZ 2019, 963).
Eine Verzögerung beim Beginn der Ausbildung des Kindes führt nicht automatisch zum Verlust des Unterhaltsanspruchs.
Hinweise:
- Es ist eine Abwägung unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls vorzunehmen (BGH, Beschl. v. 3.7.2013 – XII ZB 220/12, FamRZ 2013, 1375 m. Anm. Viefhues FamRZ 2013, 1475 = NJW 2013, 2751; dazu Born NJW 2013, 2717).
- Dabei ist auch die wirtschaftliche Belastung der Eltern durch die verzögerte Ausbildung zu beachten.
- Damit wird die Bedeutung des anwaltlichen Sachvortrags hervorgehoben, d...