Gegenstand des anwaltlichen Zurückbehaltungsrechts sind nach der geltenden Fassung der BRAO die Dokumente, deren Herausgabe der Rechtsanwalt dem Mandanten verweigern kann. Was unter diesen Begriff fällt, regelt § 50 Abs. 2 S. 1 BRAO. Hierzu gehören nur die Schriftstücke, die der Anwalt aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit von dem Auftraggeber oder für ihn erhalten hat. Nicht hierzu gehören hingegen gem. § 50 Abs. 2 S. 4 BRAO die Korrespondenz zwischen Anwalt und seinem Auftraggeber und diejenigen Schriftstücke, die dieser bereits in Urschrift oder Abschrift erhalten hat, was eine entsprechende Dokumentation des Rechtsanwalts hinsichtlich der überlassenen Schriftstücke voraussetzt (Offermann-Burckart in Henssler/Prütting, 4. Aufl. 2014, § 50 BRAO Rn 69).
Eine ausdrückliche Regelung, ob auch ein von dem Rechtsanwalt für den Mandanten erstrittener Vollstreckungstitel hierzu gehört, enthält § 50 Abs. 4 BRAO a.F. bzw. § 50 Abs. 2 S. 1 BRAO n.F. nicht. Deshalb wundert es auch nicht, dass umstritten ist, ob ein Vollstreckungstitel eines Mandanten überhaupt einem Zurückbehaltungsrecht des Rechtsanwalts unterliegt. Die h.M. bejaht dies aber und begründet dies überzeugend teilweise damit, dass auch die im Wege einer Vollstreckung für den Mandanten vereinnahmten Gelder einbehalten werden dürfen und diese Rechtslage für Titel ebenfalls gelten müsse (Offermann-Burckart in Henssler/Prütting, a.a.O, § 50 Rn 60; Träger in Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Aufl. 2016, § 50 Rn 22; Jessnitzer/Blumberg, BRAO, 9. Aufl. 2000, § 50 Rn 11; Thür. OLG zfs 2019, 464 m. Anm. Hansens = RVGreport 2019, 276 [Hansens] = AGS 2019, 546; AGH Celle RVGreport 2020, 190 [Ders.]).
Die Gegenauffassung, der noch die alte Fassung der BRAO zugrunde liegt, verweist auf die Pflicht zur Herausgabe von Vermögenswerten des Mandanten nach § 43a BRAO i.V.m. § 4 BORA (Hartung/Scharmer, BRAO, 6. Aufl. 2016, § 50 Rn 111; Kleine-Cosack, BRAO, 7. Aufl. 2015, § 50 Rn 9 a.E.), übersieht dabei aber die Regelung in § 4 Abs. 3 BORA, wonach ein Anwalt eigene Forderungen nur insoweit nicht mit Geldern verrechnen darf, als diese zweckgebunden zur Auszahlung an andere als den Mandanten bestimmt sind. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass eine Verrechnung mit anderen Geldern des Mandanten möglich ist und demzufolge unter diesen Voraussetzungen auch ein Titel zurückbehalten werden darf (Hartung/Scharmer, BRAO, a.a.O., § 50 Rn 105). Kleine-Cosack hat in der 8. Aufl. seines Kommentars (BRAO, 8. Aufl., § 50 Rn 18 a.E.) seine abl. Auffassung übrigens aufgegeben.