Im Folgenden wird die Geltung des seit 1.1.2022 in Kraft getretenen § 130d ZPO beleuchtet, der eine zwingende Nutzungspflicht des elektronisches Übermittlungswegs für vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen für den Anwaltsprozess vorsieht. Für die gesamte Gerichtspraxis und damit zwangslogisch auch für die Mietrechtspraxis ist seit 1.1.2022 nunmehr § 130d ZPO zu beachten, der folgenden Wortlaut hat:
Zitat
(1) Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind als elektronisches Dokument zu übermitteln.
(2) Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig.
(3) Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen.
Für vorbereitende anwaltliche Schriftsätze ist daher seit dem 1.1.2022 klar, dass ein schriftlich und/oder ein per Telefax eingereichter Schriftsatz formunwirksam und damit unbeachtlich ist. Insbesondere kann eine nur per Fax eingereichte Verteidigungsanzeige kein Versäumnisurteil im schriftlichen Verfahren nach § 331 Abs. 3 ZPO verhindern (LG Frankfurt a.M., Urt. v. 19.1.2022 – 2-13 O 60/21, ZAP EN-Nr. 151/2022; LG Köln, Urt. v. 22.2.2022 – 14 O 395/21, ZAP EN-Nr. 266/2022). Für die gesamte zivilrechtliche Gerichtspraxis stellt sich daher zusätzlich die Frage, ob die Übergabe von anwaltlichen Schriftsätzen (erst) in der mündlichen Verhandlung in Zeiten der durch § 130d ZPO eingeführten beA-Nutzungspflicht (beA = besonderes elektronisches Anwaltspostfach) nach wie vor möglich oder durch § 130d ZPO ausnahmslos unzulässig geworden ist.
Praxishinweise:
1. Die Pflicht für Anwälte, das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) zu nutzen, besteht seit 1.1.2022 nicht nur im Zivilrecht, sondern (eingeschränkt) auch im Strafrecht, in der Finanzgerichtsbarkeit und im Arbeitsrecht. Im Bereich des Strafrechts sieht § 32d S. 2 StPO für die Berufung und ihre Begründung, die Revision und ihre Begründung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage eine konkrete beA-Benutzungspflicht vor (vgl. OLG Oldenburg, Beschl. v. 25.2.2022 – 1 Ss 28/22, ZAP EN-Nr. 255/2022). Im Bereich der Finanzgerichtsbarkeit sehen § 52d S. 1 FGO und im Arbeitsrecht § 46g S. 1 ArbGG, welche beide dem § 130d S. 1 ZPO unmittelbar nachgebildet sind, eine vergleichbare, grundsätzliche Verpflichtung vor (vgl. hierzu FG Münster, Beschl. v. 22.2.2022 – 8 V 2/22, ZAP EN-Nr. 263/2022). SchließlichâEUR™wurde eine aktive Nutzungspflicht auch im Verwaltungsrecht (§ 55d VwGO) und im Familienrecht (§ 14b FamFG) eingeführt.
2. In der Übergangszeit besteht insoweit ein nicht unerhebliches Haftungsrisiko für die Anwaltschaft, sofern die neue Form versehentlich nicht eingehalten wurde. Dies gilt umso mehr, als der Rechtsanwalt seine Pflicht, das zu signierende Dokument vor dessen Absendung sorgfältig auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen, nicht auf das Büropersonal übertragen kann (BGH, Beschl. v. 8.3.2022 – VIâEUR™ZBâEUR™78/21, ZAP EN-Nr. 304/2022).
3. Die Übergabe von Schriftsätzen in der mündlichen Verhandlung ist bzw. war in der Praxis ein häufig anzutreffendes Phänomen, sei es – wenn auch im Hinblick auf § 296 ZPO nur scheinbar – um der vertretenen Partei den taktischen Vorteil des "letzten Wortes" zu ermöglichen oder um mögliche Verschärfungen des Rechtsstreits für den Fall des Scheiterns der gütlichen Einigung vorzunehmen (Stichwort: Widerklage und Klageerweiterung). Gleiches gilt im besonderen Maße für den Wohnraummietbereich, da hier Gestaltungserklärungen wie Kündigungen oder Abmahnungen unmittelbar übergeben werden konnten, um mögliche Zugangsproblematiken von vornherein auszuschließen.
1. Übergabe von Schriftsätzen im Verhandlungstermin
Vor der zwingenden Einführung der aktiven Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs war es Rechtsanwälten möglich, erst im Verhandlungstermin Schriftsätze in Papierform an das Gericht und an die Gegenseite zu übergeben, wobei die unterschiedlichsten Motivationen hinter dieser Vorgehensweise liegen können. Jedenfalls nach Auffassung des Verfassers ist der Hauptanwendungsfall schlicht dadurch motiviert, in der Hauptverhandlung eine psychologisch bessere Ausgangsposition der vertretenen Mandantschaft dadurch zu erreichen, indem die betreffende Partei hierdurch das letzte Wort hat und durch die Übergabe erst im Termin, es der Gegenseite auch i.d.R. unmöglich macht, sachgerecht auf den nicht selten seitenlangen und neuen Sachvortrag angemessen zu reagieren. Insoweit spricht die h.M. in der Literatur auch völlig zu Recht von einer dadurch verlautbarten Missachtung von Gericht und Prozessgegner, was als häu...