Das EU-Parlament will Journalisten und Aktivisten in der EU besser vor unbegründeten und missbräuchlichen Klagen schützen, mit denen sie zum Schweigen gebracht werden sollen. Mit einem Mitte Juli vom Plenum des Parlaments angenommenen Gesetzesentwurf soll Journalistinnen und Journalisten, Medienorganisationen, Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern, Aktivistinnen und Aktivisten, Forschenden und Kunstschaffenden in der EU künftig ein besserer Schutz vor strategischen Klagen (sog. SLAPPs – Strategic Lawsuits Against Public Participation), die darauf abzielen, sie einzuschüchtern und zu bestrafen, geboten werden.
Die geplanten neuen Regeln sollen in länderübergreifenden Fällen gelten, wenn der Beklagte, der Kläger und das Gericht nicht im selben Land ansässig sind oder wenn die Beteiligung der Öffentlichkeit – sei es mithilfe eines Presseartikels, eines Beitrags in den sozialen Medien, eines Videos, einer Forschungsarbeit oder eines Kunstwerks – für mehr als einen Mitgliedstaat von Bedeutung ist und die entsprechende Handlung elektronisch abgerufen werden kann.
Nach dem Richtlinienentwurf soll es Schutzvorkehrungen für Opfer missbräuchlicher Klagen geben. Es soll ihnen z.B. möglich sein, die vorzeitige Einstellung eines Verfahrens zu beantragen. Die Kläger müssen dann nachweisen, dass ihr Fall nicht unbegründet ist. Der Kläger müsste außerdem die gesamten Verfahrenskosten, einschließlich der Kosten für die Rechtsvertretung des Beklagten, tragen und mit Sanktionen rechnen. Das Opfer der missbräuchlichen Klage kann in einem solchen Fall Entschädigung verlangen, zum Beispiel für psychische Schäden oder Rufschädigung. Damit Kläger nicht den für sie günstigsten Gerichtsstand wählen können, d.h. ein einzelstaatliches Gericht, das sich am ehesten auf ihre Seite stellt, sollen Verleumdungsklagen nur vor dem Gericht des Mitgliedstaats zulässig sein, in dem die Beklagten ihren Wohnsitz haben. Die Mitgliedstaaten sollten SLAPP-Urteile von Drittstaaten gegen Personen und Unternehmen mit Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet nicht anerkennen und es den Betroffenen ermöglichen, vor dem nationalen Gericht entschädigt zu werden.
Weiterhin sollen die EU-Mitgliedstaaten zentrale Anlaufstellen einrichten, bei denen Opfer missbräuchlicher Klagen Informationen und Ratschläge einholen können. Die Behörden der Mitgliedstaaten sollen den Opfern außerdem finanzielle, rechtliche und psychologische Unterstützung leisten. Ferner sollen die EU-Staaten dafür sorgen, dass Juristinnen und Juristen angemessen im Umgang mit strategischen Klagen geschult werden und dass ihre Berufsverbände Regelungen einführen, die ihre Mitglieder davon abhalten, missbräuchliche Klagen einzureichen.
Verwiesen wurde u.a. darauf, dass die Zahl solcher strategischen Klagen gegen unliebsame investigative Journalisten und Aktivisten in Europa im Jahr 2020 mit 114 Fällen ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht habe. Nach der Abstimmung im EU-Parlament erläuterte der zuständige Berichterstatter Tiemo Wölken: "Missbräuchliche Klagen halten kritische Stimmen davon ab, Themen von öffentlichem Interesse ans Licht zu bringen. Journalisten und Aktivisten sind Eckpfeiler unserer Demokratien, und sie sollten in der Lage sein, ohne Einschüchterung zu arbeiten. Mit dieser Richtlinie wollen wir sicherstellen, dass sie in der gesamten EU geschützt sind, dass die Opfer finanzielle und psychologische Unterstützung erhalten und dass grenzüberschreitende Fälle umfassender definiert werden. Unsere Gerichte dürfen keine Spielwiese für die Reichen und Mächtigen sein".
Nach dem Beschluss des EU-Parlaments schließen sich nun die Verhandlungen mit den EU-Mitgliedstaaten über die endgültige Form der Rechtsvorschrift an.
[Quelle: EU-Parlament]