Die nach deutschem Arbeitsrecht im Vorfeld einer geplanten Massenentlassung vorgeschriebene Information der Behörden (sog. Massenentlassungsanzeige) gem. § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG dient nicht dem Individualschutz der Arbeitnehmer; sie hat lediglich den Zweck, es der zuständigen Behörde zu ermöglichen, sich einen Überblick über die Gründe sowie die Folgen der geplanten Entlassungen zu verschaffen. Das entschied jetzt der Europäische Gerichtshof auf Vorlage des Bundesarbeitsgerichts (EuGH, Urt. v. 13.7.2023 – C-134/229, ZAP EN-Nr. 484/2023 [in dieser Ausgabe: ZAP 2023, 746]).
Das BAG hatte den Luxemburger Richtern und Richterinnen die Frage vorgelegt, welche Folgen eine unterbliebene Massenentlassungsanzeige für eine später ausgesprochene Kündigung eines Arbeitnehmers hat. In dem zugrunde liegenden Fall einer in Insolvenz geratenen GmbH war zwar der Betriebsrat rechtzeitig von der Unternehmensleitung über die geplanten personellen Maßnahmen informiert worden; die nach § 17 Abs. 3 KSchG vorgeschriebene Weiterleitung einer Abschrift dieser Mitteilung an die Agentur für Arbeit unterblieb jedoch. Ein von den Entlassungen betroffener Arbeitnehmer erhob daraufhin Kündigungsschutzklage mit der Begründung, die gesetzlich vorgeschriebene Weiterleitung der Mitteilung stelle eine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Entlassung dar.
Das in der Revisionsinstanz mit der Rechtssache befasste BAG sah in der unterbliebenen Übermittlung ebenfalls einen Verstoß gegen das deutsche Gesetz zur Umsetzung der Unionsrichtlinie in nationales Recht. Allerdings stellten die Erfurter Richter auch fest, dass weder die einschlägige EU-Richtlinie noch das nationale Recht eine ausdrückliche Sanktion für einen solchen Verstoß vorsehen. Daher äußerte das BAG Zweifel, ob der Verstoß – wie der Kläger meint – zwangsläufig zur Nichtigkeit einer Kündigung führt. Aus ihrer Sicht bedurfte es der europarechtlichen Klärung, ob die fragliche Vorschrift den Zweck hat, den Arbeitnehmern Individualschutz zu gewähren und rief deshalb den EuGH an.
Dieser entschied nun zuungunsten der betroffenen Arbeitnehmer: Die gem. § 17 Abs. 3 KSchG vorgeschriebene Information der zuständigen Behörde über die geplante Massenentlassung diene nur Informations- und Vorbereitungszwecken, damit die Behörde ggf. ihre weiteren Befugnisse wirksam ausüben könne, urteilten die Luxemburger Richter. Zum einen ermögliche die Unterrichtung es der zuständigen Behörde, sich über die Gründe der geplanten Entlassungen, die Zahl und die Kategorien der zu entlassenden Arbeitnehmer sowie den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, einen Überblick zu verschaffen. Sie könne deshalb auch nicht voll und ganz auf die übermittelten Informationen vertrauen, um die bei einer Massenentlassung in ihre Zuständigkeit fallenden Maßnahmen vorzubereiten. Zum anderen werde der zuständigen Behörde im Verfahren der Konsultation der Arbeitnehmervertretung keine aktive Rolle zugewiesen. Sie sei im Grunde zunächst nur die Adressatin einer Abschrift – nämlich der Information des Betriebsrats – im Gegensatz zu ihrer aktiven Rolle in späteren Abschnitten des Verfahrens. Im Übrigen setze die fragliche Übermittlung weder eine vom Arbeitgeber einzuhaltende Frist in Gang noch schaffe sie eine Verpflichtung für die zuständige Behörde.
Die Entscheidung des EuGH (s.a. ZAP EN-Nr. 484/2023, ZAP 2023, 746 [in dieser Ausgabe]) dürfte von Bedeutung für zahlreiche noch anhängige Kündigungsschutzklagen sein. Bislang gingen mehrere Instanzgerichte davon aus, dass eine Kündigung bei unterbliebener Massenentlassungsanzeige unwirksam ist. Erst im Mai hatte das BAG daher noch in einer anderen Sache das Verfahren ausgesetzt, um eine Klärung aus Luxemburg abzuwarten (vgl. ZAP 2023, 572).
[Quelle: BAG/Red.]