In Berlin rief Justizsenator Dr. Dirk Behrendt vor Kurzem ausdrücklich Richterinnen und Staatsanwältinnen dazu auf, sich als Prüferinnen für die im Herbst anstehenden juristischen Staatsexamen zu melden. Dies führte seitens eines männlichen Abgeordneten zu einer parlamentarischen Anfrage, warum denn nur Frauen angesprochen wurden, und dem öffentlich erhobenen Vorwurf, der Justizsenator würde allen Berliner Richtern und Staatsanwälten implizit unterstellen, Frauen zu diskriminieren.
Was war passiert?
Behrendt hatte sich auf die Ergebnisse einer Studie aus NRW bezogen, die das dortige Justizministerium zu Geschlechts- und Herkunftseffekten bei der Benotung juristischer Staatexamen durchgeführt hat. Diese hatte ergeben, dass Frauen – wenn es um das Erreichen der nächsten Notenstufe in der mündlichen Prüfung geht – eine zwischen 2,3 und 6 Prozentpunkten geringere Chance haben, die nächstbessere Note zu erreichen als Männer. Konkret ausgedrückt: Vergleicht man eine Rechtsreferendarin und einen Rechtsreferendar mit den gleichen schriftlichen Vornoten, so hat erstere eine um 2,3 Prozentpunkte geringere Wahrscheinlichkeit als ihr männlicher Kollege, die nächste Notenschwelle zu erreichen, wenn die Prüfungskommission aus drei Männern gebildet wird. Am oberen Ende der Notenverteilung, d.h. bei dem Sprung von "befriedigend" auf "vollbefriedigend" oder darüber hinaus ist dieser Unterschied noch deutlicher ausgeprägt. Hier liegt er bei etwa sechs Prozentpunkten. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern verschwindet jedoch, sobald zumindest eine Frau Teil der Prüfungskommission ist. Zum Zeitpunkt der Studie waren in NRW 65 % der Prüfungen rein männlich besetzt, 52 % der Prüflinge jedoch Frauen.
Wenn man bedenkt, dass in kaum einem anderen Bereich die Berufschancen so sehr von der Examensnote abhängen wie im juristischen Fach, wirkt bei angehenden Juristinnen eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, die die Studie deutlich aufzeigt, somit umso stärker.
Das hat auch den DAV veranlasst, eine Umfrage bei den Justizprüfungsämtern durchzuführen, um herauszufinden, wie hoch der Anteil an weiblichen Prüferinnen in den Kommissionen der jeweiligen Bundesländer ist und wie erreicht werden kann, dass dieser Anteil erhöht werden kann. Dabei kam heraus, dass – je nach Bundesland – lediglich zwischen 20 und 75 % aller mündlichen Prüfungen von rein männlich besetzten Prüfungskommissionen abgehalten werden. Unisono erklärten jedoch alle Befragten, eine Erhöhung der Anzahl von weiblichen Prüferinnen zu begrüßen bzw. sich darum zu bemühen.
Daher hat die AG Anwältinnen im DAV dies zum Anlass genommen, für eine Erhöhung der Zahl der weiblichen Prüferinnen in der Anwaltschaft zu werben, und hat zu diesem Thema auf dem virtuellen DAT im Juni eine Podiumsdiskussion abgehalten. Teilnehmende waren neben Justizsenator Behrendt Vertreter und Vertreterinnen von Prüfungsämtern, Kammern und Verbänden. Konsens war, dass die Zahl der weiblichen Prüferinnen im Staatsexamen deutlich erhöht werden sollte, sodass in allen Kommissionen mindestens eine Prüferin beteiligt ist. Allerdings wurde auch klar, dass es gar nicht so einfach ist, Prüferinnen zu finden. Angesichts des immer noch vorhandenen Gender Care und Gender Pay Gap ist dies nicht verwunderlich. Frauen verdienen weniger und leisten eben immer noch einen weit größeren Teil der Sorgearbeit, da fehlen ihnen schlichtweg die Kapazitäten für ein zeitlich aufwendiges Nebenamt, welches sich zudem im Verhältnis zur aufgewandten Zeit finanziell eher als "Ehrenamt" titulieren dürfte. Immerhin hinsichtlich dieses Aspekts haben das Land NRW und Berlin etwas Abhilfe geschaffen und die Vergütung für diese Tätigkeit erhöht. Auch einige Kammern bieten hier finanzielle Unterstützung.
Offen blieb die Frage nach den Gründen der Benachteiligung. Die Studie gab dazu keine Antworten. Obwohl einiges auf den sog. unconscious bias hindeutet – eine unbewusste Benachteiligung – war jedoch klar, dass keiner der Beteiligten den männlichen Prüfern eine bewusste Benachteiligung vorwirft. Auch nicht Justizsenator Behrendt.
Er sieht es so: Es gebe Hinweise auf eine strukturelle Benachteiligung von Frauen in rein männlichen Prüfungskommissionen. Diese Benachteiligung wolle er durch weibliche Prüferinnen beseitigen. Das sei er den jungen Juristinnen nach einem anspruchsvollen Studium schuldig. Kein männlicher Kandidat oder Prüfer erfahre so einen Nachteil. Der Abbau von Nachteilen für Frauen sei daher keine Benachteiligung von Männern, sondern schaffe Gleichheit. Dem ist in dieser Klarheit nichts hinzuzufügen.
Insofern möchte auch ich, Sie, liebe Kolleginnen, dazu aufrufen, sich als Prüferin zur Verfügung zu stellen. Und zwar nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Beseitigung von Diskriminierung. Denn auch unabhängig davon ist es wichtig, dass Frauen in ihrer Funktion als "role model" für angehende Juristinnen in den Kommissionen vertreten sind. Frauen stellen derzeit ca. 50 % der Richter- und Staatsanwaltschaft, in der Anwaltschaft s...