Wenn sich die Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge in Angelegenheiten, die für das Kind von erheblicher Bedeutung sind, nicht einigen können, kann das Familiengericht gem. § 1628 S. 1 BGB auf Antrag die Entscheidung einem Elternteil übertragen; es darf hingegen die Entscheidung nicht selbst treffen (vgl. BGH, FamRZ 2017, 1057). Die Entscheidung ist dem Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl der Kinder besser gerecht wird.
a) Impfung gegen das Corona-Virus
- Nach allgemeiner Meinung handelt es sich bei einer Impfung um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung. In Übereinstimmung mit dem OLG Frankfurt (FamRZ 2021, 1533) und dem OLG München (FamRZ 2021, 1980; FuR 2022, 147 m. Hinw. Viefhues) hat das OLG Rostock (FamRZ 2022, 192; FamRB 2022, 56 m. Hinw. Clausius) entschieden, dass dem Elternteil die Entscheidung über eine Impfung gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 mit einem mRNA-Impfstoff zu übertragen ist, der die Impfung befürwortet. Dies folge aufgrund einer Empfehlung durch die Ständige Impfkommission und mangels entgegenstehender besonderer Impfrisiken beim Kind. Im Hinblick auf die vierte Infektionswelle bestehe auch ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden, das eine Übertragung der Entscheidungsbefugnis im Wege der einstweiligen Anordnung rechtfertige.
- Nach Auffassung des OLG Dresden (FamRZ 2022, 528; MDR 2022, 503) kommt eine Übertragung im Wege eines Eilverfahrens jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn die erforderliche Aufklärung des über 14 Jahre alten Kindes, obwohl von diesem ausdrücklich erbeten, weder stattgefunden hat noch betrieben wird und das Kind auch deswegen die Impfung ablehnt.
b) Türkeireise eines nicht geimpften Kindes in "Coronazeiten"
Das OLG Koblenz (FamRZ 2022, 197) hat im Streit der Eltern über die fest geplante Reise der 16-jährigen Tochter in die Türkei die Gefährdung des Kindeswohles durch das Infektionsrisiko einerseits und der Frustration des Kindes andererseits abgewogen und gegen ein Reiseverbot des Vaters entschieden.
Es hat (im August 2021) das Risiko einer Hochstufung der Türkei zum Hochrisikogebiet und eine damit nach Urlaubsrückkehr drohende Quarantäne für nicht wahrscheinlich erachtet. Die Mutter als engere Bezugsperson könne die Situationen in der Ferienwohnung und die Verhaltensrisiken am besten einschätzen. Die Absage der unmittelbar bevorstehenden Reise würde das Wohl des Kindes und seine Psyche stark beeinträchtigen. Zudem sei die Infektionsgefahr in Deutschland nicht geringer, da zu befürchten sei, dass die Tochter die verbleibende Ferienzeit vermehrt mit gleichaltrigen Jugendlichen verbringen würde.