Mit dem erst kürzlich in Kraft getretenen Gesetz zur Überarbeitung des strafrechtlichen Sanktionenrechts ist die Ersatzfreiheitsstrafe auf eine neue Berechnungsgrundlage gestellt worden: Für zwei Tagessätze Geldstrafe muss ein Verurteilter künftig nur noch einen Tag Haft verbüßen (s. Anwaltsmagazin ZAP 2023, 731). Dem Deutschen Anwaltverein (DAV) reicht dies nicht – er zweifelt generell am Sinn der Ersatzfreiheitsstrafe.
Generell sei das Nichtzahlen von Geldstrafen oft ein Fall des Nicht-Könnens, argumentiert der DAV in einem im August herausgegebenen Statement. Die deutlich selteneren Fälle der Zahlungsunwilligkeit sollten durch verpflichtende Anhörungen vor Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe „herausgesiebt” werden. Sei die betroffene Person hingegen zahlungsunfähig, sollte die Strafe ausgesetzt werden. Es sollten nur die getroffen werden, die nicht zahlen wollen, so die Forderung des Vereins.
Wie der DAV beispielhaft schildert, verbüßen derzeit in Berlin wieder deutlich mehr Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe. Mit 1.606 Betroffenen im ersten Halbjahr 2023 seien die Zahlen auf dem Vor-Corona-Niveau angekommen. Beachtlich sei der Anteil an den Häftlingen insgesamt: Von den rund 8.360 Menschen, die im Jahr 2022 in den Berliner Gefängnissen eingesessen hätten, seien 2.390 Personen nur ersatzweise wegen nicht bezahlter Geldstrafen dort gewesen – das seien mehr als 28 % aller Häftlinge.
„Jeder vierte Insasse eines Berliner Gefängnisses wurde nie zu einer Haftstrafe verurteilt. Wie kann es in einem Rechtsstaat an der Tagesordnung sein, dass Menschen für Bagatelldelikte – allen voran U-Bahnfahren ohne Ticket – in Haft sitzen? Die meisten dieser Häftlinge sind arbeitslos und verschuldet; die Inhaftierung verschärft regelmäßig die Lage der Betroffenen. Die kürzlich beschlossene Halbierung der Hafttage bei der Umrechnung der Geldstrafe kann diesen Effekt nur bedingt abmildern. Armutskriminalität ist ein soziales Problem, aber keine Gefahr für die Rechtsordnung” kritisierte der Sprecher des DAV Swen Walentowski.
Er fordert stattdessen eine Entkriminalisierung der ÖPNV-Nutzung ohne gültigen Fahrschein. Das Strafrecht habe dort eigentlich nichts zu suchen, es gehe hier vielmehr um zivilrechtliche Ansprüche. Kritik übt der DAV auch am Kostenfaktor der Ersatzfreiheitsstrafe: Ein Tag Haft in Berlin koste die Landeskasse 226 EUR. Bei rd. 14.000 dieser Häftlinge seien so in den letzten fünf Jahren bereits mehr als 3 Mio. EUR zusammengekommen, die besser in Beratungs- und Unterstützungsangeboten angelegt wären.
[Quelle: DAV]