Erst kürzlich hatte sich der Bundesgerichtshof mit der dem Rechtsanwalt obliegenden Beratungspflicht im Falle von Vergleichsschlüssen des Mandanten befasst (s. Anwaltsmagazin ZAP 2023, 685). Nun hat der Anwaltssenat eine weitere Entscheidung zum Umfang der anwaltlichen Beratungspflicht gefällt; sie betrifft Fälle, in denen dem Mandanten die Insolvenz droht. Danach muss ein Rechtsanwalt/eine Rechtsanwältin, der/die ein Unternehmen berät, im Falle einer drohenden Insolvenz u.U. auch den bzw. die Manager über deren eigenen möglichen Haftungsrisiken aufklären (BGH, Urt. v. 29.6.2023 – IX ZR 56/22 [Ls.], ZAP EN-Nr. 514/2023 [in dieser Ausgabe]).
Der Fall: Ein Rechtsanwalt hatte eine GmbH & Co. KG seit 2009 wiederholt rechtlich beraten. Im Sommer 2012 ging die KG in Insolvenz. Kurz zuvor hatte die Gesellschaft ihren beiden geschäftsführenden Gesellschaftern – Vater und Sohn – noch 85.000 EUR überwiesen. Diesen Betrag forderte später der Insolvenzverwalter – wegen verbotener Zahlung nach Insolvenzreife – mit Erfolg zurück. Die beiden Gesellschafter verklagten daraufhin ihren Rechtsanwalt auf Schadensersatz; er hätte sie über ihre Handlungsmöglichkeiten bei Insolvenzreife besser aufklären müssen, so die Kläger. Das LG gab der Klage statt, das OLG wies sie allerdings ab.
Der BGH gab jetzt den Klägern – zumindest im Grundsatz – Recht: Ein Beratungsvertrag mit einem Unternehmen könne durchaus eine Schutzwirkung zugunsten Dritter – hier der Geschäftsführer – begründen, so der Senat. Ob dies auch zu speziellen anwaltlichen Beratungspflichten mit Blick auf eine drohende Insolvenz führt, war bislang höchstrichterlich noch nicht entschieden worden; auch das rechtswissenschaftliche Schrifttum hat sich mit der Fragestellung bislang nicht beschäftigt. Dies gab dem Senat Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer solchen Beratungspflicht zu umreißen.
Die Einbeziehung eines Dritten in die Schutzwirkungen eines Vertrags bei reinen Vermögensschäden setze voraus, dass der Dritte bestimmungsgemäß mit der Hauptleistung in Berührung komme, führen die Richter in der Urteilsbegründung aus. Dieses erforderliche Näheverhältnis liege nur vor, wenn die Leistung des Anwalts bestimmte Rechtsgüter eines Dritten nach der objektiven Interessenlage im Einzelfall mit Rücksicht auf den Vertragszweck bestimmungsgemäß und typischerweise beeinträchtigen könne. Maßgebend sei, ob die vom Anwalt zu erbringende Leistung nach dem objektiven Empfängerhorizont auch dem Dritten Schutz vor möglichen Vermögensschäden vermitteln solle. Diese Voraussetzung sei beispielsweise noch nicht erfüllt, wenn der Rechtsberater lediglich mit der Durchsetzung eines Anspruchs beauftragt werde oder eine rechtliche Gestaltung unabhängig von einer Krise der Mandantin vornehmen solle. Anders liege es aber, wenn der Berater umfassender, etwa (auch) mit der Beurteilung oder Bearbeitung einer Krisensituation betraut werde. Hier folge das Interesse des Dritten aus den eigenen gesteigerten Haftungsrisiken, etwa mit Blick auf die Insolvenzantragspflicht.
Dass mit einer solchen Betrachtungsweise unübersehbare Haftungsfolgen für alle diejenigen Rechtsanwälte drohen, die Unternehmen beraten, verneint der Senat. Die anwaltliche Hinweis- und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund berge keineswegs ein unbilliges Haftungsrisiko für den Rechtsberater, führt er aus. Müsse dieser sich zur ordnungsgemäßen Erbringung seiner geschuldeten Hauptleistung mit einer wirtschaftlichen Krise des Rechtsträgers befassen, dessen Geschäftsleiter der Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO unterliege, sei das mit der Übernahme eines solchen Mandats verbundene, durch den Drittschutz erweiterte Haftungsrisiko von Anfang an hinreichend überschaubar. Es komme hinzu, dass die Hinweis- und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund nur unter engen Voraussetzungen eingreife. Geschuldet seien Hinweis oder Warnung erst, wenn dem Berater der mögliche Insolvenzgrund bekannt werde, dieser für ihn offenkundig sei oder der Insolvenzgrund sich ihm bereits aufdränge. Eine bloße Erkennbarkeit reiche nicht aus. Ferner müsse der Berater Grund zu der Annahme haben, dass sich der Geschäftsleiter nicht über den möglichen Insolvenzgrund und die daraus folgenden Handlungspflichten bewusst sei. Weil diese tatsächlichen Umstände noch zu klären waren, wurde die Sache an das OLG zurückverwiesen.
[Quelle: BGH]